Rz. 226

Voraussetzung für die Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts durch den Marktpreis ist das Bestehen eines aktiven Markts. Ein aktiver Markt liegt vor, wenn der Marktpreis an einer Börse, von einem Händler, von einem Broker, von einer Branchengruppe, von einem Preisberechnungsservice (z. B. Reuters oder Bloomberg) oder von einer Aufsichtsbehörde leicht und regelmäßig erhältlich ist und auf aktuellen und regelmäßig auftretenden Markttransaktionen zwischen unabhängigen Dritten beruht.[1] D. h., die Preise müssen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und grds. können jederzeit vertragswillige Käufer und Verkäufer gefunden werden.[2] Zusätzlich müssen die gehandelten Produkte homogen sein.

 

Rz. 227

Zur Beurteilung, ob die Marktpreise leicht und regelmäßig erhältlich sind, ist das Alter der verfügbaren Marktpreise zu berücksichtigen. Die Frage, bis zu welchem Alter die verfügbaren Marktpreise noch zu akzeptieren sind, kann nur im Einzelfall beurteilt werden.[3]

 

Rz. 228

Der Begriff des aktiven Markts ist erheblich weiter gefasst als der Begriff des organisierten Markts nach § 2 Abs. 11 WpHG. Der organisierte Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG setzt ein durch eine staatliche Stelle genehmigtes, geregeltes und überwachtes Handelssystem voraus. In Deutschland sind die Börsensegmente "Amtlicher Markt" und "Geregelter Markt" an den deutschen Wertpapierbörsen sowie der Handel an der Eurex Deutschland und der Startup Market an der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg organisierte Märkte nach § 2 Abs. 11 WpHG.[4] Grds. ist bei einem organisierten Markt davon auszugehen, dass die Voraussetzungen eines aktiven Markts erfüllt sind.[5] Ist das Handelsvolumen an einem organisierten Markt relativ gering, sind im konkreten Einzelfall die allgemeinen Voraussetzungen für das Vorliegen eines aktiven Markts zu prüfen.

 

Rz. 229

Stellen Market Maker (offizielle Börsenmitglieder, die für bestimmte Wertpapiere Geld- und Briefkurse bereitstellen und auf eigenes Risiko und Rechnung handeln; meist Banken oder Broker) verbindliche An- und Verkaufskurse bereit, können diese grds. zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts herangezogen werden. Der Market Maker verpflichtet sich, mit dem Kontrahenten einen Geschäftsabschluss zum notierten Preis zu tätigen.[6]

 

Rz. 230

Bei OTC-Märkten handelt es sich i. d. R. um aktive Märkte i. S. d. § 255 Abs. 4 Satz 1 HGB.[7] Allerdings wird teilweise die Auffassung vertreten, dass insb. bei OTC-Derivaten grds. kein aktiver Markt vorliegt.[8]

 

Rz. 231

Zur Abgrenzung von aktiven und nicht aktiven Märkten können u. a. folgende Indikatoren herangezogen werden:[9]

  • abweichende Preisquotierungen von Brokern oder Market Makern, sodass z. B. eine risikolose Arbitrage möglich wäre, wenn Umsätze tatsächlich getätigt werden würden,
  • signifikante Ausweitung der Geld-/Briefspanne (z. B. Erhöhung um das Fünffache des "üblichen" Niveaus),
  • signifikanter Rückgang des historischen Handelsvolumens (z. B. Rückgang um 90 %),
  • signifikante Preisschwankungen im Zeitablauf,
  • signifikante Preisschwankungen zwischen Marktteilnehmern,
  • signifikante Veränderung der Korrelationen von Finanzinstrumenten mit relevanten Indizes,
  • signifikante Ausweitung der Liquiditätsspreads,
  • keine laufende Verfügbarkeit von Preisen,
  • rückläufige Emissionsaktivitäten.
 

Rz. 232

Bei Beurteilung der vorstehenden Indikatoren hat der Bilanzierende einen Ermessensspielraum, den er allerdings unter Beachtung des Grundsatzes der Bewertungsstetigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB) ausüben muss.

 

Rz. 233

Kein aktiver Markt liegt vor, wenn z. B. wegen einer geringen Anzahl umlaufender Aktien im Verhältnis zum Gesamtvolumen der emittierten Aktien nur kleine Volumina gehandelt werden oder in einem engen Markt keine aktuellen Marktpreise verfügbar sind (z. B. auch im Fall des Squeeze-out).[10]

Weist der Bilanzierende nach, dass eine geplante Transaktion mangels Vertragspartner nicht zustande kam, liegt kein aktiver Markt vor. Ebenso folgt aus einer Markttransaktion dann kein Marktpreis auf einem aktiven Markt, wenn es sich um ein erzwungenes Geschäft, eine zwangsweise Liquidation oder einen Notverkauf handelt. Ein Notverkauf kann insb. vorliegen, wenn zeitlicher Verkaufsdruck besteht und aufgrund gesetzlicher oder zeitlicher Restriktionen lediglich ein potenzieller Käufer vorhanden ist.

[1] Vgl. BT-Drs. 16/10067 v. 30.7.2008 S. 61; IDW RH HFA 1.005.8.
[2] Vgl. Scharpf/Schaber/Märkl, in Küting/Weber, HdR-E, §§ 255 HGB Rn 429, Stand: 11/2016.
[3] Vgl. IDW RS HFA 9.77.
[4] Vgl. zu einer Auflistung sämtlicher organisierter Märkte in europäischen Ländern die "Übersicht über die geregelten Märkte und einzelstaatliche Rechtsvorschriften zur Umsetzung der entsprechenden Anforderungen der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie", RL 93/22/EWG des Rates v. 10.5.1993, ABl. EG L 141/27 v. 11.6.1993.
[5] Vgl. IDW RS HFA 9.77.
[6] Vgl. IDW RS HFA 9.80; differenzierend Scharpf/Schaber/Märkl, in Küting/Weber, HdR-E, § 255 HGB Rn 431, Stand: 11/2016.
[7] Vgl. Goldschmidt/Weigel, WPg 2009, S. 195.
[8] Vgl. Löw/Scharpf/W...

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