Rz. 223

Zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts sieht § 255 Abs. 4 HGB eine strenge Bewertungshierarchie vor. Der beizulegende Zeitwert entspricht grds. dem Marktpreis (§ 255 Abs. 4 Satz 1 HGB). Nur in den Fällen, in denen kein aktiver Markt besteht, anhand dessen sich der Marktpreis ermitteln lässt, ist der beizulegende Zeitwert mithilfe allgemein anerkannter Bewertungsmethoden zu bestimmen (§ 255 Abs. 4 Satz 2 HGB). Lässt sich der beizulegende Zeitwert auch nicht durch allgemein anerkannte Bewertungsmethoden ermitteln, sind die AHK gem. § 253 Abs. 4 HGB fortzuführen, wobei der zuletzt ermittelte beizulegende Zeitwert als AHK gilt (§ 255 Abs. 4 Satz 3 und 4 HGB).

 

Rz. 224

Liegt ein aktiver Markt vor, hat der Bilanzierende den notierten Marktpreis auch dann als beizulegenden Zeitwert anzusetzen, wenn eine allgemein anerkannte Bewertungsmethode anzeigt, dass der durch sie ermittelte beizulegende Zeitwert vom notierten Marktpreis abweicht.

 

Praxis-Beispiel[1]

Der Bilanzierende hält festverzinsliche Bundeswertpapiere. Die Europäische Zentralbank gibt eine Zinsentscheidung bekannt. Während die Futures auf dem Terminmarkt (Eurex) bereits auf die Entscheidung reagieren, reagiert der Kassamarkt für das festverzinsliche Wertpapier erst am nächsten Handelstag. Der beizulegende Zeitwert der festverzinslichen Bundeswertpapiere ist dennoch anhand ihrer notierten Marktpreise (Kassamarkt) zu ermitteln; auch wenn die Futures anzeigen, dass dieser Marktpreis bereits überholt ist.

 

Rz. 225

Es ergibt sich folgende Bewertungshierarchie zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts:

 

Abb. 7: Bewertungshierarchie für den beizulegenden Zeitwert

[1] Vgl. zu IAS 39 IDW RS HFA 9.85.

6.2.1 Marktpreis als beizulegender Zeitwert (Abs. 4 Satz 1)

6.2.1.1 Aktiver Markt

 

Rz. 226

Voraussetzung für die Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts durch den Marktpreis ist das Bestehen eines aktiven Markts. Ein aktiver Markt liegt vor, wenn der Marktpreis an einer Börse, von einem Händler, von einem Broker, von einer Branchengruppe, von einem Preisberechnungsservice (z. B. Reuters oder Bloomberg) oder von einer Aufsichtsbehörde leicht und regelmäßig erhältlich ist und auf aktuellen und regelmäßig auftretenden Markttransaktionen zwischen unabhängigen Dritten beruht.[1] D. h., die Preise müssen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und grds. können jederzeit vertragswillige Käufer und Verkäufer gefunden werden.[2] Zusätzlich müssen die gehandelten Produkte homogen sein.

 

Rz. 227

Zur Beurteilung, ob die Marktpreise leicht und regelmäßig erhältlich sind, ist das Alter der verfügbaren Marktpreise zu berücksichtigen. Die Frage, bis zu welchem Alter die verfügbaren Marktpreise noch zu akzeptieren sind, kann nur im Einzelfall beurteilt werden.[3]

 

Rz. 228

Der Begriff des aktiven Markts ist erheblich weiter gefasst als der Begriff des organisierten Markts nach § 2 Abs. 11 WpHG. Der organisierte Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG setzt ein durch eine staatliche Stelle genehmigtes, geregeltes und überwachtes Handelssystem voraus. In Deutschland sind die Börsensegmente "Amtlicher Markt" und "Geregelter Markt" an den deutschen Wertpapierbörsen sowie der Handel an der Eurex Deutschland und der Startup Market an der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg organisierte Märkte nach § 2 Abs. 11 WpHG.[4] Grds. ist bei einem organisierten Markt davon auszugehen, dass die Voraussetzungen eines aktiven Markts erfüllt sind.[5] Ist das Handelsvolumen an einem organisierten Markt relativ gering, sind im konkreten Einzelfall die allgemeinen Voraussetzungen für das Vorliegen eines aktiven Markts zu prüfen.

 

Rz. 229

Stellen Market Maker (offizielle Börsenmitglieder, die für bestimmte Wertpapiere Geld- und Briefkurse bereitstellen und auf eigenes Risiko und Rechnung handeln; meist Banken oder Broker) verbindliche An- und Verkaufskurse bereit, können diese grds. zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts herangezogen werden. Der Market Maker verpflichtet sich, mit dem Kontrahenten einen Geschäftsabschluss zum notierten Preis zu tätigen.[6]

 

Rz. 230

Bei OTC-Märkten handelt es sich i. d. R. um aktive Märkte i. S. d. § 255 Abs. 4 Satz 1 HGB.[7] Allerdings wird teilweise die Auffassung vertreten, dass insb. bei OTC-Derivaten grds. kein aktiver Markt vorliegt.[8]

 

Rz. 231

Zur Abgrenzung von aktiven und nicht aktiven Märkten können u. a. folgende Indikatoren herangezogen werden:[9]

  • abweichende Preisquotierungen von Brokern oder Market Makern, sodass z. B. eine risikolose Arbitrage möglich wäre, wenn Umsätze tatsächlich getätigt werden würden,
  • signifikante Ausweitung der Geld-/Briefspanne (z. B. Erhöhung um das Fünffache des "üblichen" Niveaus),
  • signifikanter Rückgang des historischen Handelsvolumens (z. B. Rückgang um 90 %),
  • signifikante Preisschwankungen im Zeitablauf,
  • signifikante Preisschwankungen zwischen Marktteilnehmern,
  • signifikante Veränderung der Korrelationen von Finanzinstrumenten mit relevanten Indizes,
  • signifikante Ausweitung der Liquiditätsspreads,
  • keine laufende Verfügbarkeit von Preisen,
  • rückläufige Emissionsaktivitäten.
 

Rz. 232

Bei Beurteilung der vorstehenden Indikatoren h...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge