Rz. 173

Mangels gesetzlicher Regelung hat sich der unter bestimmten Voraussetzungen gebotene Widerruf eines Bestätigungsvermerks nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen sowie Berufsgrundsätzen zu vollziehen.[1] Soweit der Abschlussprüfer erkennt, dass die Voraussetzungen zur Erteilung des von ihm abgegebenen Bestätigungsvermerk nicht vorgelegen haben und die geprüfte Gesellschaft nicht bereit ist, die notwendigen Schritte zu einer Änderung des geprüften Abschlusses (mit anschließender Nachtragsprüfung) vorzunehmen, ist er zum Widerruf des Bestätigungsvermerks verpflichtet,[2] es sei denn

  • die Vermeidung eines falschen Eindrucks über das Ergebnis der Abschlussprüfung aufgrund von Informationen der Adressaten des Bestätigungsvermerks ist bereits auf andere Weise sichergestellt worden oder
  • ein geänderter Jahresabschluss oder Lagebericht erreicht die Adressaten nicht wesentlich später als ein möglicher Widerruf oder
  • der Mangel ist für die Adressaten nicht mehr von Bedeutung.

Die Entscheidung zum Widerruf hat nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Danach ergibt sich eine Pflicht zum Widerruf aus der Schutzfunktion, die der Bestätigungsvermerk gegenüber solchen Adressaten der Rechnungslegung hat, die keine unmittelbare Einsichtnahmemöglichkeit in den Prüfungsbericht haben und im Vertrauen auf den Jahresabschluss vermögenswirksame Entscheidungen treffen.[3]

 

Rz. 174

Eine Verpflichtung zum Widerruf ist grds. gegeben, wenn der Jahresabschluss oder Lagebericht einen bedeutungsvollen Fehler aufweist und die Nichtigkeit des Jahresabschlusses noch geltend gemacht werden kann.[4]

Gründe für einen Widerruf können sein:

  • Der Abschlussprüfer gewinnt neue Erkenntnisse, die im Zeitpunkt der Testatserteilung schon vorlagen.
  • Der Abschlussprüfer ist getäuscht worden.
  • Der Abschlussprüfer hat i. R. d. Abschlussprüfung Tatsachen übersehen, die er bei gewissenhafter Prüfung nicht hätte übersehen dürfen.
  • Der Abschlussprüfer hat bestimmte Sachverhalte falsch gewürdigt.
 

Rz. 175

Keine Begründung für einen Widerruf stellen wertaufhellende Informationen dar, die erst nach Beendigung der Aufstellungsphase des Jahresabschlusses bekannt werden und die der Abschlussprüfer erst nach Testatserteilung erhält.[5]

 

Rz. 176

Ein Widerruf ist dann nicht erforderlich, wenn die Vermeidung eines falschen Eindrucks über das Ergebnis der Abschlussprüfung aufgrund von Informationen der Adressaten des Bestätigungsvermerks bereits auf andere Weise sichergestellt ist.

 

Praxis-Beispiel[6]

Im Zuge der Prüfung des Jahresabschlusses 02 der prüfungspflichtigen GmbH stellt der Abschlussprüfer fest, dass der im Vorjahr uneingeschränkt testierte Jahresabschluss 01 einen wesentlichen Fehler enthielt (Überbewertung von Vorräten). Im Jahresabschluss 02 ist der Fehler offen korrigiert worden, indem im Anhang ergänzende Erläuterungen vorgenommen wurden.

Ein Widerruf des Bestätigungsvermerks zum Jahresabschluss 01 ist nicht erforderlich, da die Adressaten des Bestätigungsvermerks über den Fehler im Folgeabschluss informiert werden.

 

Rz. 177

Soweit im Zuge einer Überprüfung eines Jahresabschlusses bzw. Konzernabschlusses durch die BaFin Fehler in der Rechnungslegung festgestellt werden, kommt ebenfalls ein Widerruf in Betracht. Soweit aber die Ges. eine Fehlerkorrektur in Übereinstimmung mit IDW RS HFA 6 vornimmt, ist ein Widerruf nicht erforderlich.[7]

 

Rz. 178

Die Wirkung eines Widerrufs liegt darin, dass die geprüfte Ges. den Bestätigungsvermerk nicht mehr verwenden darf. Erfolgt der Widerruf vor der Feststellung des Jahresabschlusses, kann keine Feststellung erfolgen, da kein geprüfter Jahresabschluss vorliegt. Erfolgt allerdings der Widerruf erst nach Feststellung des Jahresabschlusses, wird die Feststellung durch den Widerruf nicht unwirksam. Dies gilt allerdings nicht, soweit der materielle Grund für den Widerruf des Bestätigungsvermerks zu einer Nichtigkeit des Jahresabschlusses führt.[8]

 

Rz. 179

Soweit ein Widerruf eines Bestätigungsvermerks vorgenommen wird, ist die Erteilung eines davon abweichenden Bestätigungsvermerks (bzw. ggf. eines Versagungsvermerks) vorzunehmen, da die geprüfte Ges. Anspruch auf Erteilung eines Bestätigungsvermerks hat (Rz 20).[9]

 

Rz. 180

Der Widerruf durch den Abschlussprüfer ist dem Auftraggeber sowie dem geprüften Unt schriftlich zu begründen, sodass die Ges. die Begründung nachvollziehen und ggf. einer rechtlichen Überprüfung unterziehen kann.[10] In der Begründung sind der Fehler und seine Auswirkung auf den Jahresabschluss darzustellen.

 

Rz. 181

Die Unterrichtung von allen Personen, die von dem Bestätigungsvermerk Kenntnis haben (z. B. Gesellschafter, Fremdkapitalgeber), ist durch den Abschlussprüfer vorzunehmen, wobei sich eine zeitnahe Unterrichtung empfiehlt. Ist der Jahresabschluss nebst Bestätigungsvermerk bereits offengelegt, muss auch der Widerruf offengelegt werden.[11] Verweigert das Unt die Offenlegung des Widerrufs, kann der Abschlussprüfer den Widerruf selbst in geeigneter Weise bekannt m...

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