Rz. 59

Eine Bestandsgefährdung liegt nach allgemeiner Auffassung grds. dann vor, wenn ernsthaft damit zu rechnen ist, dass das Unt in absehbarer Zeit seinen Geschäftsbetrieb nicht mehr fortführen kann und ggf. Insolvenz anmelden oder in Liquidation gehen muss.[1] Als "absehbare Zeit" wird nach berufsständischen Grundsätzen ein Zeitraum von mind. zwölf Monaten, gerechnet vom Abschlussstichtag, angenommen.[2] In Einzelfällen sowie insb. für Unt mit längeren Produktionszyklen müssen auch deutlich längere Zeiträume in Betracht gezogen werden. Die Gefährdung muss sich auf den rechtlichen Bestand des Unt beziehen, nicht nur auf Zweigniederlassungen oder andere abgrenzbare Unternehmensteile.

Indikatoren für eine Bestandsgefährdung können z. B. sein:[3]

  • nicht kostendeckende Fertigungen,
  • häufige Liquiditätsengpässe,
  • drohender Abzug von Fremdkapital ohne Ersatzaussichten,
  • Nichteinhaltung von Darlehenskonditionen (Covenants),
  • ständige Zuschüsse der Anteilseigner,
  • erhebliche laufende Verluste,
  • nachhaltige Preisveränderungen im Beschaffungs- oder Absatzbereich,
  • Ausfall wesentlicher Forderungen,
  • Unterbilanz oder der Verlust der Hälfte des Grund- oder Stammkapitals (§ 92 Abs. 1 AktG, § 49 Abs. 3 GmbHG),
  • bilanzielle Überschuldung.
 

Rz. 60

In Einzelfällen kann es aus Gründen der Eilbedürftigkeit erforderlich sein, vorab einen gesonderten Teilbericht zu erstatten. Aufgrund der Bedeutung der Kenntnis über Bestandsgefährdungen oder Entwicklungsbeeinträchtigungen sind diese Teilberichte vollständig in den Prüfungsbericht aufzunehmen[4] und um bis zum Prüfungsende erfolgte weitere Entwicklungen zu ergänzen.

 
Praxis-Beispiel

Der Abschlussprüfer stellt i. R. d. Vorprüfung im November 01 fest, dass aufgrund des im laufenden Gj bislang erzielten Verlusts das Stammkapital der prüfungspflichtigen GmbH zu mehr als 50 % aufgezehrt ist. Eine gemeinsam mit der Geschäftsführung vorgenommene überschlägige Hochrechnung ergibt, dass zum 31.12.01 durch den Verlust die mit einem Kreditinstitut vereinbarten Covenants aus einem Darlehensvertrag, nämlich die Eigenkapitalquote, nicht eingehalten werden können, sodass dem Kreditinstitut ein Sonderkündigungsrecht für das Darlehen zustünde.

Der Abschlussprüfer informiert die Gesellschafterversammlung, die vom Geschäftsführer gem. § 49 Abs. 3 GmbHG unverzüglich einberufen wurde, in Form eines Teilberichts. Die Gesellschafter führen noch vor dem Abschlussstichtag der GmbH weiteres EK zu.

Bei der im März 02 erfolgenden Hauptprüfung stellt der Abschlussprüfer fest, dass aufgrund der Eigenkapitalzufuhr die Covenants zum 31.12.01 nunmehr nicht verletzt wurden. Wie er dem zwischenzeitlichen Schriftverkehr des Geschäftsführers mit der Hausbank sowie der von ihm eingeholten Saldenbestätigung entnehmen kann, bestehen keine Hinweise, dass die Hausbank die Finanzierung nicht mehr in dem bislang vorgenommenen Umfang vornimmt. Für das Gj 02 wird zum Prüfungsende aufgrund einer zwischenzeitlich seit Jahresbeginn eingetretenen Erhöhung der Auftragseingänge mit einem leicht positiven, mind. aber einem ausgeglichenen Ergebnis gerechnet.

Auch wenn der Abschlussprüfer zum Abschluss seiner Prüfung keine konkreten Entwicklungsbeeinträchtigungen oder Bestandsgefährdungen (mehr) erkennen kann, hat er in seinem Prüfungsbericht den erstatteten Teilbericht sowie die weitere Entwicklung bis zum Prüfungsende darzustellen.

 

Rz. 61

Entwicklungsbeeinträchtigende Tatsachen beziehen sich auf Brüche in der Kontinuität der wirtschaftlichen Entwicklung des geprüften Unt.[5] Zwischen bestandsgefährdenden und entwicklungsbeeinträchtigenden Tatsachen ist keine objektivierte Grenzziehung möglich. Daher kommen grds. dieselben Tatbestände wie bei einer Bestandsgefährdung in Betracht, wobei die Berichtspflicht schon durch weniger schwerwiegende Auswirkungen, die zu mehr als nur zu einer angespannten Lage des Unt führen, ausgelöst wird.[6] Weitere Indikatoren für entwicklungsbeeinträchtigende Tatsachen können bspw. sein:[7]

  • drohende längerfristige Dividendenlosigkeit,
  • deutliche Verschlechterung der Rentabilität,
  • Verkauf von Beteiligungen oder Teilbetrieben zur Deckung kurzfristiger Liquidität,
  • Umsatzrückgang wegen des Verlusts wichtiger Märkte oder generellem Nachfragerückgang,
  • drohende Sanierungsmaßnahmen,
  • Regulierungen mit langfristigen Auswirkungen auf die Rentabilität (z. B. Verschärfung behördlicher Umweltauflagen, Auslaufen von zeitlich befristeten Genehmigungen ohne konkrete Aussicht auf Verlängerung).
 

Rz. 62

Entwicklungsbeeinträchtigende Tatsachen treten oftmals zeitlich vorgelagert vor bestandsgefährdenden Tatsachen auf. Daher sind derartige Tatsachen bereits dann zu nennen, wenn sie eine Entwicklungsbeeinträchtigung oder eine Gefährdung der Unternehmensfortführung zur Folge haben können, nicht erst dann, wenn die Entwicklungsbeeinträchtigung bereits eingetreten ist.[8] Ziel dieser vom Gesetzgeber gewollten Berichterstattung ist eine frühzeitige Information der Überwachungsgremien, damit ausreichend Zeit für Maßnahmen bleibt, den Entwicklungsbee...

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