Rz. 36

§ 300 Abs. 2 Satz 2 HGB gestattet die unabhängige Ausübung von Wahlrechten im Konzernabschluss, losgelöst von der etwaigen Inanspruchnahme in den jeweiligen Einzelabschlüssen. Für den Konzernabschluss ist dabei weder die Ausübung von Bilanzierungswahlrechten in den Einzelabschlüssen der TU noch die Ausübung im Einzelabschluss des MU maßgebend.[1] Allerdings ist für den Fall, dass auf den Konzernabschluss nicht die Bewertungsmethoden angewendet werden, die das MU in seinem Einzelabschluss tatsächlich anwendet, eine Angabe und Begründung der abweichenden Bewertungsmethoden im Konzernanhang vorgesehen (§ 308 Abs. 1 Satz 3 HGB), was auf den Fall der Bilanzierungsmethoden übernommen werden kann bzw. aus Gründen der Transparenz übernommen werden sollte. Werden die Posten i. R. d. Konsolidierung eliminiert, ist eine solche Angabe und Begründung im Konzernanhang nicht erforderlich.[2]

 
Praxis-Beispiel

In manchen Ländern sind die Maßstäbe für die Bildung von Rückstellungen strenger als nach HGB. Folglich ist in den jeweiligen Einzelabschlüssen nach Landesrecht bereits bei einer geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit eine Rückstellung für die Erfüllung ungewisser Verbindlichkeiten zu bilden oder aber es sind auch Aufwandsrückstellungen vorzunehmen.[3] Für den Konzernabschluss nach dem Recht der MU gelten dann aber die Eintrittswahrscheinlichkeiten des HGB und auch das Verbot von Aufwandsrückstellungen. So kann also im Einzelabschluss des TU nach ausländischem Recht eine Rückstellung für die Erfüllung ungewisser Verbindlichkeiten bereits bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 33 % gebildet worden sein, welche bei identischer Eintrittswahrscheinlichkeit nach HGB aber nicht passiviert werden darf.

 

Rz. 37

§ 300 HGB fordert die einheitliche Ausübung von Bilanzierungswahlrechten nicht explizit. Grds. ist eine einheitliche Ausübung als Voraussetzung für eine adäquate Darstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bilds der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu sehen. Mit Bezug auf die Generalnorm in § 297 Abs. 2 Satz 2 HGB kann zudem angenommen werden, dass die über § 298 Abs. 1 HGB i. V. m. § 246 Abs. 3 HGB explizit geforderte zeitliche Ansatzstetigkeit auch für eine gleichartige Behandlung von gleichartigen Fälle i. R. d. sog. sachlichen Stetigkeit spricht.[4] Auch Art. 6 und Art. 24 der Richtlinie 2013/34/EU differenzieren bei Bewertungsregeln nicht zwischen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften.[5] Deshalb ist davon auszugehen, dass im Konzernabschluss die Bilanzierungsentscheidung für gleichartige Sachverhalte einheitlich auszufallen hat (sachliche Stetigkeit) und gleiche Sachverhalte im Zeitablauf gleich darzustellen sind (zeitliche Streitigkeit).[6] Darüber hinaus wird durch das Willkürverbot eine weitere Grenze gesetzt. Die Beurteilung der Gleichartigkeit hat nach strengen Maßstäben zu erfolgen, um eine Nivellierung bei der Bilanzierung art- oder funktionsverschiedener VG und Schulden zu vermeiden.[7]

Für gleiche bzw. gleichartige Sachverhalte ergibt sich hieraus, dass Bilanzierungswahlrechte nicht unterschiedlich ausgeübt und keine unterschiedlichen Bilanzierungsmethoden genutzt werden dürfen. Im Umkehrschluss dürfen auch unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden.[8]

 

Rz. 38

Eine Neuausübung von Ermessensentscheidungen (sog. implizite Wahlrechte) im Konzernabschluss gegenüber den Einzelabschlüssen der einbezogenen Unt – etwa i. R. d. Frage der Passivierung von Rückstellungen – ist insb. bei Personenidentität aufgrund des Grundsatzes des Willkürverbots grds. nicht zulässig.[9] Ausnahmen sind nur möglich, solange die Änderung für den Zweck der Einheitlichkeit der Bilanzierung erforderlich ist.[10] Das Ermessen ist somit einheitlich auszuüben.

In Einzelfällen – und bei fehlender Personenidentität – kann auch eine sachlich begründete unterschiedliche Einschätzung von Risiken, Wahrscheinlichkeiten und sonstigen unbestimmten Bewertungsfaktoren zulässig sein, wenn Erfahrungswerte oder bessere Erkenntnisse auf Konzernebene vorliegen.[11] So kann z. B. der Erkenntnisstand für die Bildung von Garantie- bzw. Gewährleistungsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 HGB in einem ausländischen TU aufgrund unternehmenspolitischer Entscheidungen von dem beim MU abweichen, sodass die Wahrscheinlichkeit für den Konzernabschluss anders einzuschätzen ist.

 
Praxis-Beispiel

Die A-GmbH wird auf die Zahlung von Schadensersatz verklagt. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine Verurteilung wird von der Geschäftsführung auf ca. 50 % geschätzt. Auch aus steuerlichen Gründen setzt die A-GmbH eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten an. Die A-GmbH ist MU und zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet. Bei der Aufbereitung der Handelsbilanz II ist die Geschäftsführung an die eigene Einschätzung gebunden. Die Rückstellung ist auch in der Handelsbilanz II beizubehalten und kann – insb. vor dem Hintergrund der Personenidentität – nicht mit Hinweis auf eine andere Einschätzung unterlassen werden.

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