Rz. 68

Soweit keine gesetzliche Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht vorliegt, kann der der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Personenkreis (Rz 20) nur durch den Auftraggeber von der Verschwiegenheitspflicht entbunden werden. Bestehen mehrere Auftraggeber, müssen alle Auftraggeber der Entbindung zustimmen. Die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht kann sich auf alle ihr unterliegenden Umstände oder nur auf Teile davon beziehen. Die Entbindung sollte aus Nachweisgründen schriftlich vorgenommen werden. Es empfiehlt sich außerdem, die Entbindung nur für einen bestimmten Adressatenkreis vorzunehmen.[1]

 
Praxis-Beispiel

Bei der prüfungspflichtigen GmbH bestehen Überlegungen, einen weiteren finanzkräftigen Gesellschafter hinsichtlich einer Kapitalerhöhung aufzunehmen. Der potenzielle Investor führt Untersuchungen über die GmbH in Bezug einer due diligence durch. I. R. d. Untersuchungen soll der Abschlussprüfer der GmbH ggü. dem Investor bzw. dessen Beratern Auskünfte zu dem von ihm geprüften Jahresabschluss der GmbH erteilen.

Der Abschlussprüfer lässt sich von dem Geschäftsführer der GmbH eine schriftliche Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht zur Erteilung von Auskünften geben. Hierin sind ggf. bestehende Begrenzungen der Entbindung sowie der Adressatenkreis benannt, ggü. dem der Abschlussprüfer Auskünfte geben darf (Investor und dessen Berater).

Damit über den Kreis der Auskunftsberechtigten hinaus niemand die vom Abschlussprüfer gegebenen Auskünfte erhält sowie aus Haftungsgründen, lässt sich der Abschlussprüfer vor Erteilung der Auskünfte vom Investor und dessen Berater schriftlich bestätigen, dass sie die erhaltenen Informationen nicht weitergeben und nur für den vorgesehenen Zweck verwenden (sog. hold-harmless-letter).

 

Rz. 69

Zuständig für die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht ist das für die Vertretung zuständige Organ, d. h. im Fall der AG – trotz § 111 Abs. 1 Satz 3 AktG – der Vorstand, da es sich hierbei um eine Geschäftsführungsmaßnahme handelt.[2] Die Entbindung von der Verschwiegenheit erfolgt durch die Mitglieder des Vertretungsorgans in der für die Vertretung erforderlichen Anzahl.

 

Rz. 70

Im Fall der Insolvenz geht die Befugnis zur Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht auf den Insolvenzverwalter über.[3]

 

Rz. 71

Soweit eines der Organmitglieder ein selbstständiges schutzwürdiges Interesse an der Verschwiegenheit des Abschlussprüfers besitzt, wird auch dessen Zustimmung benötigt. Dies kann z. B. dann auftreten, wenn es um Tatsachen aus der persönlichen Sphäre des Organmitglieds geht (z. B. betreffend schuldrechtlicher Verträge, die das Organmitglied mit der geprüften Ges. geschlossen hat).

[1] Vgl. Justenhoven/Feldmüller, in Beck Bil-Komm., 13. Aufl. 2022, § 323 HGB Rz 43.
[2] Vgl. Hennrichs, in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 323 HGB Rz 39, Stand: 12/2014.
[3] Vgl. Justenhoven/Feldmüller, in Beck Bil-Komm., 13. Aufl. 2022, § 323 HGB Rz 44.

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