Rz. 16

Für die Frage der möglichen Täterschaft kommt es nicht allein auf die zivil- oder gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit des Bestellungsaktes an. Vielmehr bestimmt sich der Begriff des vertretungsberechtigten Organs auch nach den tatsächlichen Kriterien.[1]

 

Rz. 17

Bei einer nicht wirksam entstandenen oder noch nicht bestehenden KapG gibt es bereits Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs, wenn ein solches Amt von einer natürlichen Person ausgeübt wird.[2]

 

Rz. 18

Die zivilrechtlich unwirksame oder mangelhafte Bestellung zum Mitglied des Vertretungsorgans lässt die strafrechtliche Verantwortung bei tatsächlicher Übernahme und Ausübung des Amtes unberührt.[3] So kann auch eine Person, die kraft Gesetzes die Fähigkeit, ein Mitglied des vertretungsberechtigten Organs zu sein, verloren hat (§§ 6 GmbHG, 76 AktG) weiterhin Täter sein, wenn sie ihre Organfunktion weiter ausübt.[4]

 

Rz. 19

Die Eintragung in das Handelsregister stellt keine Strafbarkeitsvoraussetzung dar. Der tatsächliche Beginn der Tätigkeit vor der Eintragung begründet bereits die Tätereigenschaft.

 

Rz. 20

 
Praxis-Beispiel

Fehlt es noch an einem förmlichen Bestellungsakt, erfolgt die Organtätigkeit aber mit Einverständnis oder auch nur mit der Duldung des für die Bestellung zuständigen Organs (GesV, HV, AR), ist ebenfalls die Tätereigenschaft ge­geben.[5]

 

Rz. 21

Die rückwirkende Beendigung der Organstellung, die zivilrechtlich möglich ist, lässt die Strafbarkeit unberührt. Der Täter bleibt, wenn er über den Zeitpunkt der Beendigung der Organstellung hinaus seine Aufgaben weiter wahrnimmt, bis zur tatsächlichen Amtsaufgabe tauglicher Täter.[6]

 

Rz. 22

Wird ein Geschäftsführer bzw. Vorstand als sog. "Strohmann" in das HR eingetragen, ohne dass er tatsächlich Organfunktionen übernimmt und wahrnimmt, hat dies keinen Einfluss auf seine formelle Täterqualifikation. Zudem lässt dieses Vorschieben eines nur eingetragenen Dritten, dessen Organfunktionen tatsächlich aber vollständig von dem Hintermann, dem tatsächlichen Geschäftsführer bzw. Vorstand ausgeübt werden, die Täterschaft des Hintermanns unberührt. Täter kann in diesen Strohmann-Fällen damit sowohl das eingetragene Mitglied des vertretungsberechtigten Organs als auch der faktische Geschäftsführer/Vorstand sein.[7]

 

Rz. 23

Bisher ungeklärt ist die Frage, wie weit die faktische Betrachtung reichen kann, wenn der Handelnde neben einem formell ordnungsgemäß bestellten und aktiven Vertretungsorgan seinerseits tätig ist. Der BGH[8] setzt als entscheidendes Kriterium zunächst eine "überragende Stellung" des faktischen Vertretungsorgans voraus, was die Ausübung von wesentlichen Geschäftsführungsaufgaben erfordert. Zu diesen Geschäftsführungsaufgaben gehören[9]

  • die Bestimmung der Unternehmenspolitik,
  • die Unternehmensorganisation,
  • die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern einschl. des Ausstellens von Zeugnissen,
  • die Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern der Ges. einschl. der Vereinbarung von Vertrags- und Zahlungsmodalitäten,
  • die Entscheidung in Steuerangelegenheiten,
  • die Verhandlungen mit Kreditgebern,
  • die Steuerung von Buchhaltung und Bilanzierung sowie
  • eine dem Geschäftsführergehalt entsprechende Vergütung.
 

Rz. 24

Mit der Übernahme und Ausübung dieser wesentlichen Geschäftsführungsaufgaben durch das faktische Vertretungsorgan muss das für die Bestellung zuständige Organ einverstanden sein.[10] Darüber hinaus fordert das Schrifttum,[11] dass die Tätigkeit des faktischen Vertretungsorgans nach außen erkennbar und auf Dauer angelegt sein muss. Darüber hinaus ist eine faktische Organstellung aus strafrechtlicher Sicht abzulehnen. Die bloße Anmaßung einer Organstellung nach diesen Kriterien ist auch im Fall eines aktiven Allein- bzw. Mehrheitsgesellschafters nicht ausreichend, solange bestellte und tatsächlich als Gesellschaftsorgan nicht nur nachrangig tätige Dritte vorhanden sind.[12]

[1] Vgl. Spatscheck/Wulf, DStR 2003, S. 173; Dannecker, in Staub, Großkommentar Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. 2012, Band 7/2, § 331 HGB Rn 26; Klinger, in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 331 HGB Rn 16.
[2] Vgl. RGSt 34, 412; 37, 25; 43, 407; Dannecker, in Staub, Großkommentar Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. 2012, Band 7/2, § 331 HGB Rn 31.
[3] Vgl. BGHSt 3, 32; Klinger, in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 331 HGB Rn 18.
[4] Vgl. Klinger, in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 331 HGB Rn 19.
[5] Vgl. BGHSt 3, 32; 21, 101; 31, 118; OLG Düsseldorf NJW 1988, S. 3166.
[6] Vgl. Dannecker, in Staub, Großkommentar Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. 2012, Band 7/2, § 331 HGB Rn 30; Klinger, in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 331 HGB Rn 23.
[7] Vgl. RGSt 16, 269; 43, 407; 64, 81; 71, 112; BGHSt 6, 314; 28, 20; 34, 221; 34, 379; BGH, wistra 1990, S. 60; Klinger, in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 331 HGB Rn 24.
[8] Vgl. BGH, Urteil v. 22.9.1982, 3 StR 287/82, BGHSt 31 S. 118.
[9] Vgl. Dierlamm, NStZ 1996, S. 153.
[10] Vgl. Klinger, in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 331 HGB Rn 25 f.
[11] Vgl. Dierlamm, NStZ 1996, S. 153; Klinger, in MünchKom...

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