Leitsatz

Die Berliner Zweitwohnungsteuer ist keine Verbrauchsteuer i.S.v. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.

 

Normenkette

§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 172 Abs. 1 AO, § 1, § 8 BlnZwStG, Art. 105 Abs. 2a GG, § 69 Abs. 3 FGO

 

Sachverhalt

Der Ast. im vorliegenden Verfahren auf Gewährung einer AdV nach § 69 Abs. 3 FGO und seine Ehefrau waren langjährige Miteigentümer zweier Eigentumswohnungen (Nr. 19 und Nr. 20) in Berlin, die der Steuerpflicht nach dem BlnZwStG unterfielen. Nachdem die Eheleute erst 2014 Steuererklärungen abgegeben hatten, setzt der Ag. – das FA – in 2015 Zweitwohnungsteuer für 2003 bis 2017 (Wohnung Nr. 19) und für 2009 bis 2017 (Wohnung Nr. 20) fest. Einen Antrag auf Gewährung einer AdV bis 2013 lehnte das FA ab.

Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.12.2015, 14 V 14213/15, Haufe-Index 9396659) gab dem Antrag "Wohnung Nr. 19" nur für die Jahre bis 2006 statt: Die Festsetzungsfrist habe sich auf fünf Jahre verlängert, da dem Ast. eine leichtfertige Steuerverkürzung zur Last falle, weil er seinen melderechtlichen Pflichten nicht nachgekommen sei und dadurch die Steuer verkürzt habe. Ihn habe die Mitwirkungspflicht getroffen, melderechtliche Angaben zu machen, die für eine Personenstandsaufnahme notwendig seien. Dieser Verpflichtung sei der Ast. nicht nachgekommen.

 

Entscheidung

Auf die Beschwerde des Ast. hin hat der II. Senat die Vorentscheidung aufgehoben und eine AdV auch für die Jahre 2003 bis 2007 gewährt; i. Ü. ist der Antrag abgelehnt worden. Der Senat hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.

1. Merkmale der Verbrauchsteuern nicht erfüllt

Die Festsetzungsverjährung für die Berliner Zweitwohnungsteuer richtet sich gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Berliner Gesetzes über den Anwendungsbereich der Abgabenordnung (AOAnwG) nach den Vorschriften der AO. Die regelmäßige Festsetzungsfrist beträgt somit vier Jahre. Denn bei der Zweitwohnungsteuer handelt es sich nicht um eine Verbrauchsteuer. Eine Legaldefinition des Begriffs der Verbrauchsteuern gibt es zwar nicht. Das BVerwG definiert jedoch Verbrauchsteuern als Warensteuern, durch die der Verbrauch vertretbarer, in der Regel zur kurzfristigen Verwendung bestimmter Güter besteuert wird. Steuerverfahrensrechtlich sind die Kriterien für die Verbrauchsteuern darin zu sehen, dass die Abgaben summarisch oft durch "untergeordnete" Stellen und auch bei fehlender Mitwirkung des Betroffenen ermittelt werden. ­Typische Verbrauchsteuern sind daher auf Bundesebene die Stromsteuer, die Energiesteuer, die Tabaksteuer, die Kaffeesteuer, die Schaumweinsteuer, die Alkopopsteuer und die Biersteuer, die jeweils in § 1 Abs. 1 Satz 3 der einschlägigen Gesetze ausdrücklich als Verbrauchsteuern bezeichnet werden. Diese Abgaben sind alle auf Überwälzung auf die Verbraucher angelegt. Die Berliner Zweitwohnungsteuer erfüllt die vorstehenden Voraussetzungen nicht. Sie ist insbesondere keine Warensteuer, sondern eine örtliche Aufwandsteuer gemäß Art. 105 Abs. 2a GG. Die Zweitwohnungsteuer soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erfassen, die im Innehaben einer weiteren Wohnung zum Ausdruck kommt.

2. Eingreifen der regulären Festsetzungsverjährung

Es bestehen danach keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen für die Besteuerungszeiträume ab 2008. Da die vorgeschriebene Steuererklärung erst im Jahr 2014 abgegeben wurde, begann die vierjährige Festsetzungsfrist für die Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2008 mit Ablauf des Jahres 2011 und endete mit Ablauf des Jahres 2015.

3. Leichtfertige Steuerverkürzung zweifelhaft mangels Meldepflicht

Ob das FA zu Recht für die Wohnung Nr. 19 für das Jahr 2007 Zweitwohnungsteuer festgesetzt hat, ist dagegen zweifelhaft. Die Steuerfestsetzung wäre nur rechtmäßig, wenn eine leichtfertige Steuerverkürzung vorläge. Ob dem Ast. diese Steuerverkürzung vorgeworfen werden kann, bedarf der Prüfung im Hauptsacheverfahren. Auf eine Verletzung der Meldepflichten nach §§ 11, 15 des Berliner Meldegesetzes wird das Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung nicht gestützt werden können. Die vom FG herangezogene Mitwirkungspflicht nach § 135 Abs. 2 AO setzt voraus, dass eine Personenstands- und Betriebsaufnahme nach § 134 AO auf der Grundlage einer Rechtsverordnung stattfindet. Eine Personenstands- und Betriebsaufnahme ist seit Jahrzehnten nicht mehr durchgeführt worden.

 

Hinweis

Im Besteuerungsverfahren bestehen deutliche Unterschiede zwischen den allgemeinen Regeln und den besonderen Vorschriften für Verbrauchsteuern: Die regelmäßige Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Bei Verbrauchsteuern i.S.d. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist grundsätzlich lediglich ein Jahr. Die Anlaufhemmung bei Nichtabgabe der Steuererklärung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist nach Satz 2 auf Verbrauchsteuern – jedenfalls prinzipiell – nicht anwendbar.

Im Streitfall waren Eheleute mit zwei Eigentumswohnungen steuerpfli...

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