Leitsatz

1. Gleicht das FA bei einer Papiererklärung den elektronisch übermittelten und der Steuererklärung beigestellten Arbeitslohn generell nicht mit dem vom Steuerpflichtigen in der Einkommensteuererklärung erklärten Arbeitslohn ab und werden die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Einkommensteuerbescheid infolgedessen unzutreffend erfasst, liegt darin keine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO.

2. Stimmen der vom Steuerpflichtigen erklärte und der der Einkommensteuererklärung beigestellte Arbeitslohn nicht überein, hat der Sachbearbeiter regelmäßig – ggf. in weiteren Datenbanken – zu ermitteln, welches der zutreffende Arbeitslohn ist.

 

Normenkette

§ 129 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin war im Streitjahr (2011) vom 1.1. bis zum 31.8.2011 zunächst bei der Firma X GmbH und vom 1.9. bis zum 31.12.2011 bei der Firma Y GmbH beschäftigt. Ihre Einkommensteuererklärung reichte sie in Maschinenschrift zusammen mit Belegen beim FA ein. Der Bruttoarbeitslohn war darin zutreffend ­angegeben. Im Einkommensteuerbescheid vom 10.7.2012 setzte das FA bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbstständiger Arbeit den Bruttoarbeitslohn jedoch unzutreffend zu niedrig an. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Im November 2013 stellte das FA fest, dass seit dem 22.8.2012 Lohndaten aus dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der Firma X GmbH vorlagen, die in dem Einkommensteuerbescheid nicht berücksichtigt worden waren. Die Daten summierten sich mit den im Steuerbescheid – aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Y GmbH – berücksichtigten Daten auf den Betrag, den die Klägerin in der Steuererklärung angegeben hatte.

Das FA erließ daraufhin einen Änderungsbescheid. Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG statt (FG Köln, Urteil vom 14.3.2016, 5 K 1920/14, Haufe-Index 10231899).

 

Entscheidung

Die Revision des FA wies der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

a) Solche offenbaren Unrichtigkeiten sind insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts.

Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss vom 28.5.2015, VI R 63/13, BFH/NV 2015, 1078, m.w.N.).

b) Allerdings ist nicht jede versehentlich unberücksichtigte Tatsache mit einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung gleichzusetzen. Eine der Berichtigung entgegenstehende unvollständige Sachverhaltsermittlung ist erst anzunehmen, wenn für die Besteuerung wesentliche Tatsachen nicht durch ein mechanisches Versehen unberücksichtigt geblieben sind.

Ermittlungsfehler gehen über mechanische Versehen bei der Heranziehung des Sachverhalts zur Steuerfestsetzung hinaus, weil ein Teil des rechtserheblichen Sachverhalts wegen fehlerhaft unterlassener oder unrichtiger Tatsachenaufklärung noch nicht bekannt ist.

Ist dagegen ohne weitere Prüfung erkennbar, dass ein Teil des bekannten Sachverhalts aus Unachtsamkeit bei der Steuerfestsetzung nicht erfasst worden ist, darf diese offenbare Unrichtigkeit zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Berichtigung der versehentlich fehlerhaften Steuerfestsetzung korrigiert werden (BFH, Urteil vom 26.4.1989, VI R 39/85, BFH/NV 1989, 619; BFH, Urteil vom 13.11.1997, V R 138/92, BFH/NV 1998, 419).

§ 129 AO setzt kein Verschulden voraus

Liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 Satz 1 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig, weshalb die oberflächliche Behandlung eines Steuerfalls grundsätzlich eine Berichtigung nach dieser Vorschrift nicht hindert. Anders ist dies erst, wenn sich die Unachtsamkeit bei der Bearbeitung des Falls häuft und Zweifeln, die sich aufdrängen, nicht nachgegangen wird.

2. Vorliegend hat die Klägerin den von ihr im Streitjahr bezogenen Arbeitslohn zutreffend gegenüber dem FA erklärt. Das FA hat diese Angaben auf Seite 1 der Anlage N jedoch aus verwaltungsökonomischen Gründen bewusst nicht in den Blick genommen, weil es allgemein darauf vertraute, dass die vom Arbeitgeber elektronisch übermittelten Daten – wie üblich – zutreffend sind und vor Beginn der Bearbeitung der Steuererklärung vollständig vom Computersystem der Finanzbehörden übernommen werden. Es hat deshalb bewusst keinen Abgleich der der Einkommensteuererklärung der Klägerin elektro...

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