Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um Fragen, die aus dem EuGH-Urteil in der Sache Seeling (EuGH, Urteil vom 8.5.2003, C-269/00 (Wolfgang Seeling)) bzw. dessen gesetzgeberischer Umsetzung resultierten. Es ging darum, wie der Betrag der Ausgaben in Artikel 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie auszulegen ist. Der EuGH hatte zu entscheiden, ob dieser Betrag bei einer teilweisen Privatnutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes auch entsprechend den jeweiligen innerstaatlichen Regelungen anteilig die jährlichen (ertragsteuerlichen) Abschreibungen für die Abnutzung von Gebäuden und/oder den in Anlehnung an den Vorsteuerberichtigungszeitraum (10 Jahre) berechneten Anteil der Anschaffungskosten umfasst.

Die Kläger des Ausgangsverfahrens (Ehepaar) gründeten eine Hausgemeinschaft und errichtete im Jahr 2003 ein Gebäude, in welchem sich die privat genutzten Räume des Ehepaares befinden, aber auch die Steuerkanzlei eines der Ehegatten. Die Hausgemeinschaft ordnete das Gebäude insgesamt ihrer als Vermietungsunternehmen fungierenden Hausgemeinschaft zu und machte einen Vorsteuerabzug für die gesamten Herstellungskosten geltend, obwohl das Gebäude zu ca. 80 % privat genutzt wurde.

Es stand außer Frage, dass der überschießende Vorsteuerabzug, der auf die private Nutzung entfällt, nicht beim Unternehmer verbleiben soll, sondern über die Besteuerung der privaten Verwendung gem. Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie zurückzuführen ist. Zu klären war aber, wie die Besteuerung der privaten Verwendung erfolgen sollte Hierfür kam es darauf an, was man unter dem "Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung" in Artikel 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie versteht.

 

Entscheidung

In der Sache Seeling hatte der EuGH entschieden, dass die Privatnutzung einer Wohnung in einem ganz dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäude nicht über die Gleichstellungsfiktion gemäß Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie wie ein steuerfreier Vermietungsumsatz behandelt werden darf. Zur Begründung verwies der EuGH auf seine Entscheidung EuGH, Urteil vom 4.10.1995, C-291/92 (Armbrecht), wonach der Unternehmer ein Wahlrecht hat, den privat genutzten Anteil eines Gegenstands seinem Unternehmen zuzuordnen oder nicht. Entscheidet sich der Steuerpflichtige für die Zuordnung, ist die auf den Anschaffungskosten des Gegenstands lastende Umsatzsteuer grundsätzlich vollständig und sofort als Vorsteuer abziehbar. Die nach Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie steuerbare Privatnutzung eines Gebäudeteils fällt nicht unter Artikel 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie und kann demzufolge nicht wie ein Vermietungsumsatz steuerfrei gestellt werden, was dazu führen würde, dass dem Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Anschaffung des Gebäudes der Vorsteuerabzug nur anteilig zustehen würde. Dies hatte der EuGH auch in der Sache Charles-Tijmens (EuGH, Urteil v. 14.7.2005, C-434/03 (P. Charles, T.S. Charles-Tijmens)) im Ergebnis bestätigt.

Aus dem Urteil Seeling wurde von vielen Beteiligten in Deutschland zur optimalen Finanzierung eines Eigenheims, das ein Unternehmer zum überwiegenden Teil als Wohnung und in geringem Umfang für seine wirtschaftliche Tätigkeit nutzt, folgendes Modell abgeleitet: Der Unternehmer wählt beim Erwerb des bebauten Grundstücks die vollständige Zuordnung zu seinem Unternehmensvermögen und kann deshalb die auf den Erwerbskosten ruhende Umsatzsteuer sofort abziehen. Dieser Sofortabzug wird aber nur durch eine auf 50 Jahre verteilte Besteuerung der Privatverwendung des Gebäudes rückgängig gemacht. Denn die jährliche Besteuerung nach Artikel 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie wird in Anlehnung an eine pauschalierte 50-jährige Lebensdauer des Gebäudes und den daraus im deutschen Einkommensteuerrecht abgeleiteten Abschreibungssatz[1] nur mit 2 % der Erwerbskosten des Gebäudes bemessen. Darüber hinaus wurde eine Verwendungsbesteuerung für den - vor oder zusammen mit dem Gebäude erworbenen - Grund und Boden mit der Begründung unterlassen, dass ein unbebautes Grundstück kein abnutzbarer Gegenstand ist und daher nicht planmäßig abgeschrieben werden könne.

Das Urteil Seeling ist eines der am meisten besprochenen Urteile des deutschen umsatzsteuerrechtlichen Schrifttums. Darin wird die vorstehend beschriebene Finanzierungsmöglichkeit schlagwortartig als "europaweites Eigenheimförderungsmodell"[2], "Eigenheimzulage"[3] und "Umsatzsteuersparmodell"[4] bezeichnet. In den Anmerkungen wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die Verteilung der Verwendungsbesteuerung auf 50 Jahre keinen Verstoß gegen die 6. EG-Richtlinie und den ihr zugrunde liegenden Neutralitätsgrundsatz darstellt. Diese Auffassung hatte das Niedersächsische FG bereits bestätigt[5]. Seine Entscheidung war jedoch nicht rechtskräftig geworden, weil das unterlegene Finanzamt dagegen Revision[6] eingelegt hatte. Die Gegner des Finanzierungsmodells gingen davon aus, dass der Gerichtshof im Urteil Seeling einen ...

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