Seine früher vertretene Gegenwertlehre[1] hat der BFH aufgegeben. Der BFH geht jetzt generell davon aus, dass die Mehraufwendungen für die behindertengerechte Gestaltung des individuellen Wohnumfelds als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind. Sie stehen so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts regelmäßig in den Hintergrund tritt. Der BFH ist der Ansicht, dass behinderungsbedingter Mehraufwand situationsbedingt zwangsläufig entsteht und die Frage, ob den Aufwendungen ein etwa erlangter Vorteil gegenzurechnen ist, nicht (mehr) zu prüfen ist.[2] Der BFH hält auch nicht mehr an der Einschränkung fest, dass die Behinderung auf einem nicht vorhersehbaren Ereignis beruht und deshalb ein schnelles Handeln des Steuerpflichtigen oder der Angehörigen geboten ist.[3] Es ist auch nicht erforderlich, dass für den Betroffenen keine zumutbaren Handlungsalternativen, etwa ein Umzug in eine behindertengerechte Wohnung oder Einrichtung, bestehen.[4] Die Verwaltung folgt dieser großzügigen Rechtsprechungsänderung.[5]

Dementsprechend sind die Kosten, die beim Neubau eines Einfamilienhauses oder bei der grundlegenden Umgestaltung eines bereits bestehenden Gebäudes oder eines Anbaus bzw. einer Eigentumswohnung entstehen können, grundsätzlich anzuerkennen. Gleiches gilt für Einbauten, wie z. B. eines Fahrstuhls, extra breiter Türen im Wohn- und Badbereich, schwellenloser Übergänge, besonderer Tür- und Fenstergriffe, eines großen Bads usw., auch wenn es sich um Einrichtungen handelt, die dem Wohnbedürfnis dienen und untrennbar mit dem Gebäude als Ganzem verbunden sind. Entsprechendes gilt für Baumaßnahmen an einem Mietobjekt.

Ebenso sind – wie schon bisher, d. h. vor der Aufgabe der Gegenwertlehre – die ausschließlich behinderungsbedingten Aufwendungen für Maßnahmen im Wohnbereich zu berücksichtigen, wenn es sich um Einrichtungen handelt, die von einem nicht behinderten Bewohner nicht mitbenutzt werden können. Darunter fallen z. B. ein Treppenschräglift[6] oder ein Rollstuhlaufzug. Bei solchen Maßnahmen, die eindeutig nur für den Menschen mit Behinderung, nicht auch für einen nicht behinderten Bewohner, von Vorteil sind, liegt verlorener Aufwand vor.

Dass die Aufwendungen durch die Behinderung bedingt sind, ist nachzuweisen. Für den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Um- oder Neubaukosten eines Hauses oder einer Wohnung genügt der Bescheid eines gesetzlichen Trägers der Sozialversicherung oder der Sozialleistungen über die Bewilligung eines pflege- bzw. behinderungsbedingten Zuschusses oder die Vorlage des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) oder der Medicproof Gesellschaft für Medizinische Gutachten.[7] Im Übrigen dürfte für den Nachweis häufig ein Sachverständigengutachten erforderlich sein.[8]

Behinderungsbedingte Baumaßnahmen sind nicht durch den Behinderten- und Pflege-Pauschbetrag abgegolten.[9]

 
Wichtig

Behinderungsbedingte Umbau-/Neubaukosten

Abzugsfähig sind nur die Mehraufwendungen, die durch die Behinderung veranlasst und zur behinderungsgerechten Umgestaltung seines individuellen Wohnumfelds erforderlich sind. Dazu gehören auch die auf die Mehrkosten entfallenden Schuldzinsen. Der Mehraufwand muss eindeutig anhand objektiver Merkmale von den steuerlich unerheblichen Aufwendungen für die Errichtung und Gestaltung eines Hauses abgrenzbar sein.[10] Zu beachten ist auch, dass Aufwendungen nur soweit abziehbar sind, als sie einen angemessenen Betrag nicht überschreiten.[11] Soweit bauliche Maßnahmen von der Kranken-/Pflegeversicherung bezuschusst werden, sind solche Zuschüsse im Wege der Vorteils­anrechnung gegenzurechnen.

Grundsätzlich sind die Baukosten im Zahlungsjahr abzuziehen. Wirkt sich jedoch der volle Abzug wegen zu niedriger Einkünfte im Streitjahr nicht aus, sollte aus Billigkeitsgründen ein Wahlrecht auf Verteilung der Aufwendungen auf die Nutzungsdauer anerkannt werden.[12] Angemessen dürfte in Anlehnung an § 82b EStDV eine Verteilung auf 5 Jahre sein.[13] Der BFH[14] lehnt allerdings ebenso wie die Verwaltung[15] eine Verteilung im Regelfall ab.

 
Wichtig

Bevorstehende Behinderung

Baumaßnahmen im Hinblick auf eine vom Steuerpflichtigen künftig befürchtete Behinderung sind – ebenso wie vorbeugende Maßnahmen bei einer befürchteten Krankheit – nicht zwangsläufig und daher nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Der Einbau alters-/behinderungsgerechter Einrichtungen (Aufzug, barrierefreier Zugang usw.) oder der Erwerb einer Seniorenwohnung mit entsprechender Ausstattung ist daher, solange eine entsprechende Krankheit bzw. Behinderung nicht tatsächlich eingetreten ist, nicht begünstigt.

Begünstigt sind lediglich behinderungsbedingte Baumaßnahmen, soweit sie das existenziell wichtige Wohnumfeld betreffen, d. h. die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Ausgeschlossen vom Abzug sind daher Aufwendungen für den behinderungsbedingten Umbau ein...

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