Leitsatz

Widerruft das FA eine verbindliche Auskunft, ist das Klageverfahren gegen eine Steuerfestsetzung, für die die verbindliche Auskunft ohne den Widerruf bindend wäre, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Widerruf gem. § 74 FGO auszusetzen.

 

Normenkette

§ 74 FGO, § 89 AO

 

Sachverhalt

Das FA hatte 2008 eine verbindliche Auskunft ­erteilt unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs, diese aber 2009 widerrufen. Bevor über den Einspruch entschieden wurde, erging der Steuerbescheid mit der nachteiligen Beurteilung des FA zur Steuerbefreiung. Das FG (FG Baden-Württemberg vom 23.7.2012, 9 K 2780/09, Haufe-Index 3404789, EFG 2012, 2323) wies die Klage gegen den Steuerbescheid ab und ließ die Revision zu.

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf, weil dies verfahrensfehlerhaft das Verfahren nicht bis zur Entscheidung über die Wirksamkeit des Widerrufs ausgesetzt hatte, und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Hinweis

1. Eine unterlassene (zwingende) Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist ein Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens.

2. Eine Abhängigkeit zwischen zwei anhängigen Verfahren i.S.d. § 74 FGO besteht, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren in der Sache beeinflusst werden kann.

3. Die positive verbindliche Auskunft ist ein Verwaltungsakt und enthält die für die betreffende Steuerart verbindliche Feststellung über eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung des der Auskunft zugrunde liegenden Sachverhalts. Das FA kann die Auskunft, insbesondere sofern sich ihre Rechtswidrigkeit herausstellt, im Besteuerungsverfahren zwar nach § 2 Abs. 3 StAuskV ex nunc aufheben oder ändern. Die Bindung der verbindlichen positiven Auskunft entfällt auch ohne eine Entscheidung des FA nach § 2 Abs. 2 StAuskV ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, bindet die erteilte Auskunft, wenn sie zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt, bei identischem Sachverhalt (!) selbst dann, wenn sie dem geltenden Recht widerspricht. Dem FA ist daher in Bezug auf diese positive Feststellung in der Auskunft eine Rechtmäßigkeitsprüfung im Rahmen der entsprechenden Steuerfestsetzung verwehrt. Ein Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer erteilten verbindlichen positiven Auskunft gestritten wird, ist daher wegen der Bindung an eine erteilte Auskunft – anders als ein Verfahren über einen erfolglosen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft (Negativbescheid) – i.S.d. § 74 FGO vorgreiflich für das Verfahren gegen den entsprechenden Steuerbescheid.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.5.2013 – V R 23/12

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