Der Sachverhalt, dass nicht identifizierte Einzelrisiken, sondern der aggregierte Gesamtrisikoumfang für die Beurteilung der (freien) Risikotragfähigkeit und des Grads der Bestandsbedrohung eines Unternehmens maßgeblich sind, war schon 1998 mit der Inkraftsetzung des Kontroll- und Transparenzgesetzes (KonTraG) bekannt.[1] Entsprechend findet man eben auf dem KonTraG aufbauender Prüfungsstandard 340 des Instituts der deutschen Wirtschaftsprüfer folgende zentrale Anforderung an ein leistungsfähiges Risikofrüherkennungssystem:

"Die Risikoanalyse beinhaltet eine Beurteilung der Tragweite der erkannten Risiken in Bezug auf Eintrittswahrscheinlichkeit und quantitative Auswirkungen. Hierzu gehört auch die Einschätzung, ob Einzelrisiken, die isoliert betrachtet von nachrangiger Bedeutung sind, sich in ihrem Zusammenwirken oder durch Kumulation im Zeitablauf zu einem bestandsgefährdenden Risiko aggregieren können."

Aggregation über alle Einzelrisiken und im Zeitablauf gefordert

Gefordert wird also die Aggregation über alle Einzelrisiken und auch über die Zeit. Da nur quantifizierte Risiken auch aggregiert werden können, ist das Gebot der Quantifizierung sämtlicher Risiken nur konsequent. Durch eine Aggregation der quantifizierten Risiken im Kontext der Planung – Chancen und Gefahren verstanden als Ursache möglicher Planabweichungen – muss untersucht werden, welche Auswirkungen diese auf den zukünftigen Ertrag, die wesentlichen Finanzkennzahlen, Kreditvereinbarungen (Covenants) und das Rating haben.

Aggregation von Risiken erfordert die Monte-Carlo-Simulation

Die Aggregation von Risiken im Kontext der Unternehmensplanung erfordert zwingend den Einsatz von Simulationsverfahren (Monte-Carlo-Simulation), weil Risiken – anders als Kosten und Umsätze – nicht addierbar sind. Diese Simulationsverfahren sind die Weiterentwicklung bekannter Szenario-Analyse-Techniken. Mittels Computersimulation wird bei der Risikoaggregation eine große repräsentative Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien (Planungsszenarien) analysiert.[2] Auf diese Weise wird eine realistische Bandbreite der zukünftigen Erträge und Liquiditätsentwicklung aufgezeigt, also die Planungssicherheit bzw. Umfang möglicher negativer Planabweichungen dargestellt.[3] Unmittelbar ableiten kann man die Wahrscheinlichkeit, dass Covenants verletzt oder ein notwendiges Ziel-Rating zukünftig nicht mehr erreicht wird. Die Verletzung von Covenants ist meist eine "bestandsbedrohende Entwicklung".

Analog dem Eigenkapitalbedarf lässt sich auch der Bedarf an Liquiditätsreserven unter Nutzung der simulierten Verteilung der Zahlungsflüsse (freie Cashflows) ermitteln. Das Eigenkapital und die Liquiditätsreserven sind das Risikodeckungspotenzial eines Unternehmens, weil sie sämtliche risikobedingten Verluste zu tragen haben.[4] Der Eigenkapitalbedarf und der Variationskoeffizient der Erträge stehen zudem als Kennzahl (Risikomaß) für die Ableitung von Kapitalkostensätzen[5] und anderen wertorientierten Kennzahlen zur Verfügung (s. Fallbeispiel). Die Risikoaggregation kann für verschiedene Strategievarianten (Handlungsoptionen) eines Unternehmens durchgeführt werden, um diese zu vergleichen und zu bewerten. Risikogerechte Bewertung bedeutet damit ein Vergleich der Risikoprofile verschiedener Handlungsoptionen (Strategien).

Die Risikoaggregation ist auch notwendige Grundlage für die Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen, z. B. eine risikogerechte Bewertung strategischer Handlungsoptionen (Investitionen), sowie wesentliche Basis für die Risikotragfähigkeitskonzepte (die der neue IDW Prüfungsstandard 981 seit April 2017 empfiehlt).

[1] Vgl. Gleißner, 2016.
[2] Vgl. Beitrag von Gleißner "Quantifizierung und Aggregation von Risiken" sowie Wolfrum/Kamarás "Software für Risikoaggregation".
[3] Vgl. Gleißner, 2008.
[4] In enger Anlehnung an Gleißner, 2017.
[5] Vgl. Gleißner, 2011.

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