Entscheidungsstichwort (Thema)

Gefährdungshaftung des Arbeitgebers - Psychiatriezulage

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Psychiatriezulage nach § 1 Abs 1 Nr 5 des Tarifvertrags über die Gewährung von Zulagen gemäß § 33 Abs keine pauschale Abgeltung eines Sachschadens, der einer Pflegeperson bei ihrer Arbeit in einem psychiatrischen Krankenhaus entstanden ist. Die Zulage schließt daher einen etwaigen Anspruch auf Aufwendungsersatz in entsprechender Anwendung des § 670 BGB nicht aus.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB §§ 277, 611, 670, 254, 276

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.03.1987; Aktenzeichen 9 Sa 109/87)

ArbG Krefeld (Entscheidung vom 26.11.1986; Aktenzeichen 5 Ca 1028/86)

 

Tatbestand

Der Kläger ist in einer von dem Beklagten betriebenen psychiatrischen Klinik als Krankenpfleger beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) anzuwenden. Neben seinem Gehalt erhält der Kläger eine Psychiatriezulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Tarifvertrags über die Gewährung von Zulagen gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT vom 11. Januar 1962 (Zulagen-TV).

§ 33 Abs. 1 Buchst. c BAT bestimmt, daß der Angestellte für die Zeit, für die ihm Vergütung nach § 26 BAT zusteht, eine Zulage erhält,

"wenn er regelmäßig und nicht nur in unerheblichem

Umfange besonders gefährliche oder gesundheits-

schädliche Arbeiten auszuführen hat und hierfür kein

anderweitiger Ausgleich zu gewähren ist."

Nach § 1 Abs. 1 des Zulagen-TV wird eine monatliche Zulage von 80,-- DM gezahlt an

" .....

5. Pflegepersonen in psychiatrischen Kranken-

häusern (Heil- und Pflegeanstalten) oder

psychiatrischen Kliniken, Abteilungen oder

Stationen,

....."

In der Nacht vom 5. auf den 6. März 1986 verrichtete der Kläger in der psychiatrischen Klinik des Beklagten seinen Dienst in der forensischen Station für Patienten, die aufgrund richterlicher Anordnung wegen bestehender Gefahr für die Allgemeinheit eingewiesen werden. Der Kläger hielt sich allein im Tagesraum auf und hatte dort auf einem Tisch seine Brille abgelegt. Gegen 21.30 Uhr - die Patienten waren bereits zu Bett gegangen - ging der Kläger in das benachbarte Dienstzimmer, weil dort das Telefon klingelte. Als er nach etwa einer Minute vom Telefonat in den Tagesraum zurückkehrte, bemerkte er, wie ein Patient mit der Brille des Klägers hantierte und diese fallen ließ, so daß das Brillengestell zerbrach.

Der Kläger erwarb ein neues Gestell zum Preise von 215,-- DM. Die Krankenkasse des Klägers hat auf die Rechnung nichts erstattet. Der Beklagte zahlte dem Kläger als Entschädigung 100,-- DM.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, den Schaden, der ihm in Ausübung seines Dienstes entstanden sei, habe der Beklagte voll zu ersetzen.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 115,-- DM zu verurteilen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat vorgetragen, dem Kläger sei ein erhebliches Mitverschulden an dem Schadenseintritt vorzuwerfen. Der Schaden sei bereits durch die an den Kläger gezahlte Psychiatriezulage abgedeckt. Jedenfalls sei der aus "Billigkeitsgründen" gezahlte Betrag von 100,-- DM ausreichend.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

In der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1989, zu der der Prozeßbevollmächtigte des Klägers gemäß §§ 87, 210 a ZPO am 24. Januar 1989 geladen worden war, erschien für den Kläger niemand. Der Beklagte hat Versäumnisurteil beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Dem Antrag des Beklagten auf Erlaß eines Versäumnisurteils gegen den ordnungsgemäß geladenen Kläger war zu entsprechen, da die Revision begründet ist. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

Die Klage ist unbegründet. Einen etwaigen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat der Beklagte erfüllt.

1. Ein Arbeitnehmer hat in entsprechender Anwendung des § 670 BGB Anspruch auf Ersatz von Schäden, die ihm bei Erbringung der Arbeitsleistung ohne Verschulden des Arbeitgebers entstehen. Voraussetzung ist, daß der Schaden nicht dem Lebensbereich des Arbeitnehmers, sondern dem Betätigungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen ist und der Arbeitnehmer ihn nicht selbst tragen muß, weil er dafür eine besondere Vergütung erhält (BAGE 12, 15 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers; BAGE 33, 108 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers).

Sachschäden des Arbeitnehmers, mit denen nach Art und Natur des Betriebs oder der Arbeit zu rechnen ist, insbesondere Schäden, die notwendig oder regelmäßig entstehen, sind "arbeitsadäquat" und im Arbeitsverhältnis keine Aufwendungen im Sinne des § 670 BGB (BAGE 12, 15, 27 = AP, aaO, zu B VII der Gründe). Handelt es sich dagegen um Sachschäden, die bei Ausübung einer gefährlichen Arbeit entstehen und "durchaus außergewöhnlich" sind, mit denen also der Arbeitnehmer nach der Art des Betriebs oder der Arbeit nicht ohne weiteres zu rechnen hat, so liegt eine Aufwendung nach § 670 BGB vor, da die Einsatzpflicht nicht "arbeitsadäquat" ist (BAGE 12, 15, 27, 28 = AP, aaO, zu B VII der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch auf Aufwendungsersatz zutreffend nicht daran scheitern lassen, daß der Kläger eine besondere Vergütung in Form der Psychiatriezulage erhält. Mit dieser Zulage sollen keine Sachschäden abgegolten werden, die bei der Arbeit entstehen.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Zulagen-TV erhalten Pflegepersonen in psychiatrischen Krankenhäusern eine monatliche Zulage von 80,-- DM. Bei dieser Zulage handelt es sich um eine Erschwerniszulage. Mit ihr sollen die besonderen Belastungen des Pflegepersonals bei der ständigen Pflege geisteskranker Patienten abgegolten werden (BAGE 48, 179, 185 = AP Nr. 11 zu § 33 BAT, zu II 1 der Gründe). Dagegen umfaßt die Psychiatriezulage - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht die pauschale Abgeltung von Sachschäden. Eine solche Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 Zulagen-TV ist dem in erster Linie hierfür maßgeblichen Tarifwortlaut (vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) nicht zu entnehmen.

3. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670 BGB bejaht. Es hat angenommen, daß der Bruch des Brillengestells ein außergewöhnlicher Schaden sei, mit dem der Kläger als arbeitsadäquat nicht habe rechnen müssen. Davon sei bereits deswegen auszugehen, weil der Schaden durch die Einwirkung eines Dritten (Patienten) entstanden sei. Der Kläger habe in der psychiatrischen Klinik eine schadensgeneigte Arbeit geleistet. Da er seine Arbeitsverpflichtung nur mit Brille habe erfüllen können, sei die Brille ein unmittelbar der Arbeit dienender Gegenstand gewesen. Der Schaden an der Brille sei daher dem Betätigungsbereich des Beklagten zuzurechnen.

4. Die Frage, wessen Betätigungsbereich die Beschädigung der Brille im vorliegenden Fall zuzuordnen ist, kann letztlich dahinstehen. Einen etwaigen Anspruch des Klägers auf Aufwendungsersatz nach § 670 BGB hat der Beklagte jedenfalls durch Zahlung der 100,-- DM für das zerbrochene Brillengestell erfüllt. Der Beklagte haftet für den Schaden an der Brille nach §§ 670, 254 BGB allenfalls anteilig.

a) In entsprechender Anwendung des 254 BGB ist bei der Verpflichtung des Arbeitgebers zum Aufwendungsersatz das Mitverschulden des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Dabei sind die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich zu beachten (BAGE 33, 108, 112 = AP Nr.6 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 11. August 1988 - 8 AZR 721/85 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu A II 3 der Gründe). Dies bedeutet, daß der Arbeitgeber bei geringer Schuld (leichteste Fahrlässigkeit) des Arbeitnehmers grundsätzlich vollen Ersatz leisten muß, bei normaler Schuld des Arbeitnehmers der Schaden anteilig unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten verteilt werden muß und bei grob fahrlässiger Schadensmitverursachung der Ersatzanspruch des Arbeitnehmers ganz entfällt.

b) Das Mitverschulden des Klägers ist als mittlere (normale) Fahrlässigkeit anzusehen.

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß der Kläger seine Brille unbeaufsichtigt im Tagesraum liegen ließ, als er zu einem Telefongespräch in einen Nebenraum ging. Der Kläger mußte damit rechnen, daß die Brille von einem Patienten beschädigt wird. Dabei ist unerheblich, daß die Patienten bereits zu Bett gegangen waren. Es ist nicht außergewöhnlich, daß Patienten um 21.30 Uhr noch nicht eingeschlafen sind und ihre unverschlossenen Zimmer verlassen. Dies gilt insbesondere für nervenkranke Patienten, die zu unruhigem Verhalten neigen. In einer psychiatrischen Klinik muß damit gerechnet werden, daß Patienten unbeaufsichtigte Wertgegenstände beschädigen.

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger nicht grob fahrlässig gehandelt hat. Der Kläger hat seine Sorgfaltspflicht nicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Auch kann die Pflichtverletzung nicht als subjektiv unentschuldbar angesehen werden, wie dies die Rechtsprechung für grobe Fahrlässigkeit verlangt (vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 - 1 AZR 362/67 -, vom 22. Februar 1972 - 1 AZR 223/71 - und vom 20. März 1972 - 1 AZR 337/72 - AP Nr. 42, 70 und 72 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).

Andererseits ist das Verschulden des Klägers nicht als geringe (leichteste) Fahrlässigkeit zu bewerten. Der Vorfall hat sich in der forensischen Abteilung für Patienten ereignet, die aufgrund richterlicher Anordnung wegen bestehender Gefahr für die Allgemeinheit eingewiesen wurden. Dem Kläger war bekannt, daß in dieser Abteilung mit aggressivem Verhalten der Patienten zu rechnen ist. Er hat selbst vorgetragen, daß ihm bereits einmal bei der Beruhigung eines Patienten eine Brille zerschlagen worden ist.

Da der Verschuldensgrad somit zwischen grober und leichtester Fahrlässigkeit liegt, ist mittlere (normale) Fahrlässigkeit anzunehmen. Der Schaden ist daher nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs aufzuteilen. Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet.

5. Diese Erwägungen veranlassen den Senat jedoch nicht, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Zwar unterliegt die Schadensaufteilung im Rahmen des § 254 BGB der tatrichterlichen Würdigung. Im vorliegenden Fall sind die tatsächlichen Feststellungen vom Berufungsgericht vollständig getroffen. Die Revision hat sie nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Der Senat ist daher in der Lage, die notwendige Abwägung selbst vorzunehmen.

Der Beklagte ist durch Zahlung von 100,-- DM an den Kläger seiner nach § 254 BGB geminderten etwaigen Ersatzpflicht nachgekommen.

Nach § 670 BGB ist nicht Schadenersatz, sondern lediglich Wertersatz zu leisten (BAGE 12, 15, 28 = AP, aaO, zu B VII der Gründe). Die gezahlten 100,-- DM entsprechen fast der Hälfte des Anschaffungspreises des Brillengestells (215,-- DM). Sie sind damit unter Berücksichtigung aller Umstände als ausreichende anteilige Entschädigung der Aufwendungen des Klägers zu betrachten.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g:

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Gegen dieses Versäumnisurteil steht dem Kläger der Einspruch zu (§ 338 ZPO). Der Einspruch muß durch Einreichung einer Einspruchsschrift beim Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 3500 Kassel, von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (§ 340 ZPO). Die Einspruchsschrift muß die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird, sowie die Erklärung, daß gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde, enthalten. Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen. Sie beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils (§ 339 Abs. 1 ZPO).

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Wittek

Dr. Walz Mache

 

Fundstellen

Haufe-Index 441698

NZA 1990, 27-28 (LT1)

RdA 1990, 58

ZTR 1989, 483-484 (LT1)

AP § 611 BGB, Nr 9

AR-Blattei, ES 860 Nr 60 (LT1)

AR-Blattei, Haftung des Arbeitgebers Entsch 60 (LT1)

EzA § 670 BGB, Nr 20 (LT1)

EzBAT § 8 BAT, Nr 6 (LT1)

PersR 1990, 87 (L)

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