Leitsatz

1. Ernstliche Zweifel, die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die AdV rechtfertigen, sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige BFH-Rechtsprechung).

2. Hat das FG einen AdV-Antrag bereits unanfechtbar abgelehnt, ist ein erneuter Aussetzungsantrag nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn der Antragsteller einen früheren AdV-Antrag zurückgenommen hat.

3. Die Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt ist gerechtfertigt, wenn schon zu diesem Zeitpunkt die genannten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestanden haben.

 

Normenkette

§ 69 FGO, §§ 10f, 7i EStG, §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5, 240 AO

 

Sachverhalt

Die Antragsteller erwarben 2007 zwei unsanierte Eigentumswohnungen in einem Sanierungsgebiet. 2009 teilte das zuständige Denkmalamt dem FA mit, dass im März 2009 ein Antrag der Antragsteller auf Ausstellung einer Bescheinigung gem. §§ 7i, 10f und 11b EStG eingegangen sei, wonach sich die Antragssumme für die zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten Gebäude auf 400.000 EUR belaufe. Außerdem enthielt die Eingangsbestätigung den Hinweis, dass eine Bestätigung der unteren Denkmalbehörde vorliege, nach der das erforderliche Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei.

Die Antragsteller berücksichtigten im Jahr 2008 die Aufwendungen für Wohneigentum gem. § 10f Abs. 1 EStG. Dieses lehnte das FA unter Hinweis auf die fehlende Bescheinigung der Denkmalbehörde ab. Die Antragsteller waren der Auffassung, die Aufwendungen für die Wohnung seien im Wege der Schätzung zuzulassen. Das FG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags den Abzug anerkannt (Sächsisches FG, Urteil vom 22.2.2012, 2 K 41/12, EFG 2012, 1001). Das FA legte Revision ein, gab dem AdV-Antrag der Antragsteller jedoch nicht statt, da aus Sicht der Finanzverwaltung trotz des finanzgerichtlichen Urteils keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des ESt-Bescheides 2008 bestünden.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Vollziehung des angefochtenen ESt-Bescheides bis zum Ablauf des Revisionsverfahrens ausgesetzt und zudem die Aufhebung der Vollziehung angeordnet, sodass die entstandenen Säumniszuschläge entfallen.

 

Hinweis

Es kommt nicht häufig vor, dass in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige erstinstanzlich zum größten Teil obsiegt hat, die Finanzverwaltung nicht bereit ist, die Vollziehung der Steuerbescheide bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens auszusetzen. Der vorliegende Aussetzungsbeschluss hatte eine solche Ausnahmesituation zum Inhalt und bot dem BFH die Gelegenheit zu einigen grundlegenden Anmerkungen.

1. Ein AdV-Antrag beim BFH ist zulässig, auch wenn bereits vorher ein AdV-Antrag beim FG gestellt wurde, der zurückgenommen worden ist. Hat dagegen das FG einen AdV-Antrag bereits unanfechtbar abgelehnt, ist ein erneuter Aussetzungsantrag nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig; d.h. nur dann, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren – ohne Verschulden – nicht geltend gemachte Umstände vorgebracht werden. Anderenfalls könnte die Regelung in § 128 Abs. 3 FGO unterlaufen werden, nach der die Beschwerde gegen einen die Aussetzung ablehnenden Beschluss des FG nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat.

2. Ernstliche Zweifel, die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die AdV rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe auftreten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dieses hat der BFH bejaht, weil das FG – im Gegensatz zum FA – in dem angefochtenen der Klage stattgebenden Urteil ausdrücklich die Rechtsprechung des BFH (hier: Beschluss vom 20.7.2010, X B 70/10, BFH/NV 2010, 2007) zugrunde gelegt hatte.

3. Da die AdV-Entscheidung nur für die Zukunft wirkt, fallen Säumniszuschläge nicht weg, die in der Zeit zwischen der Fälligkeit der festgesetzten Steuer und der Entscheidung über den AdV-Antrag entstanden sind. Dazu bedarf es der in § 69 Abs. 2 und 3 FGO ebenfalls vorgesehenen Aufhebung der Vollziehung. Diese ist mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt zu gewähren, wenn die Erhebung der Säumniszuschläge unbillig wäre, weil die erstinstanzliche Klage zum größten Teil Erfolg gehabt hat und die Antragsteller dem FA gegenüber alles getan haben, um...

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