Leitsatz

1. § 66 Abs. 3 EStG a.F., wonach Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wird, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, enthält eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Die Vorschrift ist noch als verfassungsgemäß anzusehen.

2. In den Fällen, in denen sich erst in der zweiten Jahreshälfte ergibt, dass entgegen der zu Jahresbeginn sachgemäß gestellten Prognose über die Kindeseinkünfte und -bezüge diese den Jahresgrenzbetrag aufgrund besonderer Umstände wider Erwarten nicht überschreiten werden, hat die Familienkasse von Amts wegen nach § 163 i.V.m. § 155 Abs. 4 AO 1977 zu prüfen, ob aus Billigkeitsgründen eine Festsetzung des Kindergeldes auch für den mehr als sechs Monate zurückliegenden Zeitraum in Betracht kommt.

 

Normenkette

EStG § 66 Abs. 3 a.F.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 24.10.2000, VI R 65/99

Anmerkung

Der Rechtsstreit betrifft die Anwendung der bis 31.12.1997 geltenden Vorschrift des § 66 Abs. 3 EStG, nach der das Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wird, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Für weiter zurückliegende Zeiträume war das Kindergeld demgemäß auch dann nicht zu zahlen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen im übrigen vorlagen.

Der BFH stellt klar, dass für Kindergeldansprüche, die den mehr als sechs Monate vor der Antragstellung liegenden Zeitraum betreffen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 Abs. 1 AO) nicht in Betracht kommt. § 110 AO setzt voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach Ansicht des BFH handelt es sich bei dem Sechsmonatszeitraum des § 66 Abs. 3 EStG nicht um eine gesetzliche Frist in diesem Sinne, sondern um einen materiellrechtlichen Ausschluss des Kindergeldanspruchs.

Trotz gewisser Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 66 Abs. 3 EStG bei besonderen Fallgestaltungen legt der BFH die Sache nicht dem BVerfG vor, da es sich um ein ausgelaufenes Recht handelt und für atypische Fallgestaltungen die Auswirkungen der Sechsmonatsfrist im Billigkeitsverfahren korrigiert werden können.

Der BFH hält das Arbeitsamt – Familienkasse – in gewissen Fällen für verpflichtet, von Amts wegen nach § 163 i.V.m. § 155 Abs. 4 AO zu prüfen, ob aus Billigkeitsgründen eine Festsetzung des Kindergelds auch für den mehr als sechs Monate zurückliegenden Zeitraum in Betracht kommt.

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