Leitsatz

Art. 18 Abs. 4 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen, die eine Ausschlussfrist von drei Jahren für die Einreichung eines Antrags auf Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses vorsieht, der von den Steuerbehörden dieses Staats zu Unrecht eingenommen wurde, nicht entgegensteht.

 

Normenkette

Art. 18 Abs. 4 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Alstom beantragte die Erstattung eines Betrags, den sie im Zeitraum zwischen 1998 und dem 01.10.2004 ihrer Ansicht nach zu Unrecht gezahlt hatte. Das lehnte die Verwaltung unter Hinweis auf die bereits abgelaufene Frist ab. Ob diese Frist nach Gemeinschaftsrecht zulässig war, hielt das vorlegende Gericht für zweifelhaft.

 

Entscheidung

Kurz und schmerzlos hat der EuGH entschieden, dass sich den Akten nicht entnehmen lasse und im Übrigen vor dem Gerichtshof auch nicht behauptet worden sei, dass die in der lettischen Regelung vorgesehene Ausschlussfrist von drei Jahren den Äquivalenzgrundsatz nicht beachtet habe. Zur Frage, was unter einer "angemessenen" Frist zu verstehen sei, hat er auf die Entscheidung verwiesen, wonach eine Ausschlussfrist von zwei Jahren als solche die Ausübung des Abzugsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren kann, da die Mitgliedstaaten nach Art. 18 Abs. 2 der 6. EG-RL verlangen können, dass der Steuerpflichtige sein Abzugsrecht während des gleichen Zeitraums ausübt, in dem es entstanden ist.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung betrifft die Ermächtigung der Mitgliedstaaten für Regelungen hinsichtlich der Auszahlung von Vorsteuerüberschüssen. Nach Art. 18 Abs. 4 der 6. EG-RL können die Mitgliedstaaten, wenn der Betrag der zulässigen Abzüge den Betrag der für einen Erklärungszeitraum geschuldeten Steuer übersteigt, "den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder ihn nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten. Die Mitgliedstaaten können jedoch regeln, dass geringfügige Überschüsse weder vorgetragen noch erstattet werden". Eine Regelung in Lettland sah vor, dass der Antrag auf Erstattung zu viel gezahlter Steuern nur innerhalb einer Frist von drei Jahren ab Ablauf der Frist zur Entrichtung dieser Steuern gestellt werden konnte.

2. Das Gemeinschaftsrecht enthält keine Regelung zur Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist – mangels einer Gemeinschaftsregelung – die Regelung des Verfahrens Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten. Diese bestimmen u.a. die zuständigen Gerichte und regeln die Verfahrensmodalitäten der Klagen, die (auch) die Verwirklichung der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Regelungen dürfen – soweit sie die Geltendmachung von Rechten der Steuerpflichtigen betreffen, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen –, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz). Die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte darf durch die Regelungen nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (Effektivitätsgrundsatz; vgl. auch BFH, Urteil vom 23.11.2006, V R 67/05, BFH/NV 2007, 630, BFH/PR 2007, 194).

3. Entscheidend ist – unter dem Aspekt des Äquivalenzgrundsatzes –, ob das nationale Verfahrensrecht Ansprüche, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, anders als Ansprüche aus nationalem (Steuer-)Recht behandelt. Das ist unter der Geltung der AO grundsätzlich nicht der Fall, weil die AO für alle abgabenrechtlichen Ansprüche ohne Unterscheidung gilt.

4. Hinsichtlich des Effektivitätsgrundsatzes hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche – angemessene – Fristen "sind nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren". Zur Angemessenheit hat der EuGH – fallbezogen – bereits entschieden, dass jedenfalls eine Ausschlussfrist von zwei Jahren die Ausübung des Abzugsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren kann.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 21.01.2010, C-472/08 – Alstom Power Hydro –

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