Leitsatz

1. Ein "Warenmuster" i.S.v. Art. 5 Abs. 6 S. 2 der 6. EG-RL ist ein Probeexemplar eines Produkts, durch das dessen Absatz gefördert werden soll und das eine Bewertung der Merkmale und der Qualität dieses Produkts ermöglicht, ohne zu einem anderen als dem mit solchen Werbeumsätzen naturgemäß verbundenen Endverbrauch zu führen. Dieser Begriff kann nicht durch eine nationale Regelung allgemein auf Probeexemplare beschränkt werden, die in einer nicht im Verkauf erhältlichen Form abgegeben werden, oder auf das erste Exemplar einer Reihe identischer Probeexemplare, die von einem Steuerpflichtigen an denselben Empfänger übergeben werden, ohne dass diese Regelung es erlaubt, die Art des repräsentierten Produkts und den kommerziellen Kontext jedes einzelnen Vorgangs, in dessen Rahmen diese Probeexemplare übergeben werden, zu berücksichtigen.

2. Der Begriff "Geschenke von geringem Wert" i.S.v. Art. 5 Abs. 6 S. 2 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der für Geschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden, eine monetäre Obergrenze in einer Größenordnung, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, d.h. in einer Größenordnung von 50 GBP, festgelegt wird.

3. Art. 5 Abs. 6 S. 2 der 6. EG-RL steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach vermutet wird, dass Gegenstände, die "Geschenke von geringem Wert" im Sinn dieser Bestimmung darstellen und von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen übergeben werden, die einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, als Geschenke an ein und dieselbe Person gelten.

4. Der steuerliche Status des Empfängers von Warenmustern hat keine Auswirkungen auf die Antworten auf die übrigen Fragen.

 

Normenkette

Art. 5 Abs. 6 S. 2 der 6. EG-RL (§ 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG)

 

Sachverhalt

EMI, ein englischer Musikverlag, bewirbt seine Aufnahmen durch die Abgabe von Musik-CDs an i.d.R. namentlich oder ihrer Funktion nach bezeichnete Personen bei Presse, Radiosender etc und auch an "Plugger", Werbeleute, die z.T. bis zu 600 Kopien erhalten, um sie gezielt an ihre eigenen Kontakte weiterzugeben. Die CDs waren z.T. selbst markiert, z.T. die Hüllen gekennzeichnet. EMI behandelte die Lieferungen als Warenmuster oder Geschenke von geringem Wert.

 

Entscheidung

Für die inhaltlich dem Endprodukt entsprechenden, aber gekennzeichneten Probe-CDs hielt der EuGH die Beurteilung als Warenmuster für zulässig, auch soweit mehrere Exemplare an "Plugger" abgegeben wurden, vorausgesetzt, dass diese Zahl von Exemplaren in Relation zur Art des repräsentierten Produkts und zu dem Gebrauch steht, den der "Plugger" als Mittelsperson von ihm machen soll. Das zu prüfen obliegt dem nationalen Gericht.

Allein die Möglichkeit missbräuchlicher Verwendung schließe die Beurteilung als Warenmuster nicht aus; anders jedoch bei tatsächlichem Missbrauch. Insoweit können die Mitgliedstaaten das Ergreifen von Vorsichtsmaßnahmen vorschreiben, um der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung dieser Warenmuster vorzubeugen (z.B. die Verpflichtung zur entsprechenden Kennzeichnung der Warenmuster, vertragliche Klauseln über die zivilrechtliche Haftung der Mittelspersonen).

 

Hinweis

1. Die Abgabe von Warenmustern und Geschenken von geringem Wert ist nicht als Entnahme zu besteuern. Die Begriffe Warenmuster und Geschenke von geringem Wert sind im Unionsrecht (und im nationalen Recht) nicht definiert; als Ausnahmen von der Besteuerung als Entnahme sind sie zwar eng, aber nicht so auszulegen, dass der Regelung jede tatsächliche Wirksamkeit genommen wird. Die denkbaren Sachverhalte sind vielfältig und bei der Auslegung ist der kommerzielle Kontext der Abgabe von Gegenständen als "Warenmuster" zu beachten. Zu prüfen ist:

a) Weist die Abgabe der fraglichen Gegenstände die wesentlichen Merkmale auf, die jeder Art von Warenmuster gemein sind? Dabei ist der Zweck zu berücksichtigen: das Probeexemplar soll dem potenziellen Käufer oder z.B. dem Fachjournalisten ermöglichen, die Qualität des Produkts zu bewerten und zu prüfen, ob es die nachgefragten Eigenschaften aufweist. Es darf aber auch nicht (schon) den Bedarf eines Verbrauchers in Bezug auf das betreffende Produkt befriedigen.
b) Des Weiteren sind die konkreten Umstände zu untersuchen, unter denen die Gegenstände vom Unternehmer übergeben werden. Der Warenmusterbegriff kann nicht auf Gegenstände beschränkt werden, die in einer nicht im allgemeinen Verkauf erhältlichen Form abgegeben werden. Der als Warenmuster abgegebene Gegenstand soll zwar grundsätzlich nicht identisch sein mit dem vertriebsfertigen Endprodukt. Zu berücksichtigen ist aber, dass oft die Bewertung des Endprodukts ein Probeexemplar in seiner endgültigen Form notwendig voraussetzt. Z.B. setzt die Besprechung einer Musik-CD die Kenntnis des ganzen CD-Inhalts voraus. Auch muss der Empfänger nicht zwingend ein potenzieller Käufer, sondern kann auch ein Pr...

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