Leitsatz

Kommt ernstlich in Betracht, dass ein Unternehmen durch die rechtswidrige Besteuerung der konkurrierenden Leistungen eines gemeinnützigen Vereins mit einem ermäßigten Umsatzsteuersatz Wettbewerbsnachteile von erheblichem Gewicht erleidet, kann es unbeschadet des Steuergeheimnisses vom FA Auskunft über den für den Konkurrenten angewandten Steuersatz verlangen (Anschluss an das Urteil des Senats vom 5.10.2006, VII R 24/03, BFH/NV 2004, 808).

 

Normenkette

§ 30 Abs. 4 Nr. 1, § 65 Nr. 3, § 66 AO, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG

 

Sachverhalt

Ein Unternehmen betreibt u.a. den Transport von Blutkonserven, Blutproben, Organen sowie die Beförderung von Ärzteteams. Gleichartige Leistungen werden in der Region von einem gemeinnützigen Verein erbracht. In den von diesem darüber ausgestellten Rechnungen soll zumindest teilweise ein ermäßigter Umsatzsteuersatz ausgewiesen sein. Das Unternehmen begehrt vom FA Auskunft darüber, ob auf die Leistungen des Vereins der ermäßigte Umsatzsteuersatz angewandt worden ist. Das FA lehnt diese Auskunft unter Hinweis auf das Steuergeheimnis ab. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte jedoch Erfolg. Das FG hat das FA verurteilt, Auskunft zu erteilen, mit welchem Steuersatz das FA die von dem Verein mit dem Transport von Blutkonserven, von Blutproben, von Organen und der Beförderung von Ärzteteams in den Jahren 2004 und 2005 erzielten Umsätze besteuert hat.

 

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil der Vorinstanz (FG Münster vom 7.12.2010, 15 K 3614/07 U, Haufe-Index 2599999, EFG 2011, 1383) bestätigt.

 

Hinweis

1. Fühlt sich jemand in seinen Wettbewerbschancen durch die zu niedrige Besteuerung der Umsätze eines Konkurrenten beeinträchtigt, wird er versuchen wollen, gegen diese Besteuerung vorzugehen (mag dieses durch eine Anfechtung der betreffenden Umsatzsteuerbescheide oder eine Verpflichtungsklage geschehen können). Das ist für ihn insbesondere dann von Interesse, wenn die Kunden der betreffenden Leistungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (wie bei den im Besprechungsfall streitigen Leistungen). Allemal ist freilich für den Erfolg eines solchen Rechtsschutzersuchens Voraussetzung, dass der betreffende Unternehmer ein subjektives öffentliches Recht auf die "richtige" Besteuerung seiner Konkurrenten geltend machen, also sog. Drittschutz beanspruchen kann.

Wann es einen solchen Anspruch auf steuerlichen Drittschutz gibt (und wie er ggf. geltend zu machen ist, siehe oben), dürfte nach wie vor zu den weitgehend ungeklärten Fragen gehören. Für das Umsatzsteuerrecht hat der EuGH allerdings bei einem Konkurrenzverhältnis zwischen einem Unternehmen und einem Betrieb der öffentlichen Hand in einer in mehrerer Hinsicht bemerkenswerten Entscheidung einen solchen Drittschutzanspruch bejaht (EuGH-Urteil in Slg 2006, I‐4999). Bemerkenswert ist dieses Urteil u.a. deshalb, weil es den Drittschutzanspruch aus dem Unionsrecht herleitet (obgleich das Prozessrecht ja an sich nach wie vor Domäne des nationalen Rechts ist) und dies – in einer vielleicht anfechtbaren Weise – unter Anknüpfung an die Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung von Unionsrichtlinien tut. Bei dieser Rechtsprechung geht es freilich um das Verhältnis des Einzelnen zu seinem (in der Umsetzung säumigen oder nicht unionstreuen) Mitgliedstaat und nicht um die Frage des Verhältnisses der Marktteilnehmer untereinander. Ferner geht es dort darum, in welchem Umfang dem Einzelnen gegenüber dem Mitgliedstaat ein Anspruch auf richtigen Vollzug der bestehenden Rechtsvorschriften zusteht.

Nachdem indes durch vorgenannte EuGH-Entscheidung das Tor zum Drittschutz gegenüber der Besteuerung öffentlich-rechtlicher Körperschaften aufge­stoßen war (und der BFH dem nolens volens folgen musste), war es geradezu zwingend, Drittschutz auch im Verhältnis zu sonstigen (privaten) Körperschaften zu gewähren, sofern diese wie gemeinnützige Vereine steuerliche Privilegien genießen.

2. Im Besprechungsfall spielte all dies freilich nur mittelbar eine Rolle, weil es ja nicht um Drittschutz, sondern um die Vorbereitung eines Drittschutzbegehrens durch Auskunft darüber ging, ob überhaupt Anlass zu einem solchen Begehren besteht. Insofern reicht es nach der – m.E. überzeugenden – Rechtsprechung des BFH, dass dies in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht möglich erscheint.

3. Aber was ist die Rechtsgrundlage eines solchen Auskunftsanspruchs? Man kann nur zu gut verstehen, dass ein Unternehmer nicht aufgrund eines ungesicherten Verdachts auf eine zu niedrige Besteuerung seines Konkurrenten einen Rechtsschutzantrag stellen und dabei möglicherweise ein erhebliches Kostenrisiko eingehen will. Doch wird hierdurch die Frage nach der Rechtsgrundlage nicht ohne Weiteres überflüssig.

Der BFH hat sie erst spät fokussiert, als er das EuGH-Urteil in Slg 2006, I‐4999 umsetzen musste. Er hat dabei Zuflucht beim Verfassungsrecht gesucht und einen "verfassungsunmittelbaren Anspruch" auf Auskunfterteilung kreiert. Das mag gerecht und billig erscheinen, ist aber sei...

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