Leitsatz

1. Erwerbsaufwand ist den Einkünften zuzurechnen, zu denen der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht; dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass auch im Fall einer gegenwärtig ausgeübten Erwerbstätigkeit ein Erwerbsaufwand wirtschaftlich vorrangig durch eine zunächst nur angestrebte andere Erwerbstätigkeit veranlasst und dementsprechend dieser zuzurechnen ist (Klarstellung des BFH-Urteils vom 16.11.2011, VI R 97/10, BFH/NV 2012, 506, BFH/PR 2012, 108, BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343).

2. Eine solche Zurechnung setzt allerdings voraus, dass diese künftige Erwerbstätigkeit schon hinreichend konkret feststeht; nur dann kann zwischen dieser und dem Erwerbsaufwand auch ein hinreichend konkreter und objektiv feststellbarer Veranlassungszusammenhang bestehen, der eine entsprechende Zurechnung rechtfertigt.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 17 EStG

 

Sachverhalt

K erzielte Lohneinkünfte als Geschäftsführer der GmbH; weiter übernahm K als Treuhänder für C 60 % vom Stammkapital gegen Aufwendungsersatz. Zur Finanzierung von Grundstückskäufen der GmbH bürgte K für 250.000 EUR und 1,3 Mio. EUR. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH wurde K aus den Bürgschaften in Anspruch genommen. K erbrachte darauf Zahlungen, die er als nachträgliche Werbungskosten bei seinen Lohneinkünften geltend machte. Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 12.12.2014, 15 K 3006/13 E, Haufe-Index 7614798, EFG 2015, 278) lehnte das ab, weil die Höhe der Bürgschaftsverpflichtungen und der Umstand, dass K eine Beteiligung "in Aussicht gestellt" worden sei, für eine Veranlassung durch das angestrebte Gesellschaftsverhältnis sprächen.

 

Entscheidung

Der BFH hob aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Hinweis

1. Werbungskosten – auch nachträgliche (dazu BFH, Urteil vom 16.11.2011, VI R 97/10, BFH/NV 2012, 506, BFH/PR 2012, 108, BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343) – sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen. Bei mehreren möglichen Einkunftsarten entscheidet der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang. Bürgschaftsverluste sind typischerweise entweder durch ein Gesellschafterverhältnis oder durch ein Arbeitsverhältnis veranlasst. Der Beteiligungsumfang ist dabei wesentliches Indiz: Je höher die Beteiligung, umso mehr spricht für die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis; je niedriger umso mehr für das Arbeitsverhältnis. Ist der Arbeitnehmer überhaupt nicht beteiligt, spricht alles für die Veranlassung durch das Arbeitsverhältnis, wenn private Motive, etwa Bürgschaften für Angehörige, auszuschließen sind. Im Besprechungsurteil entwickelt der Lohnsteuersenat diese Grundsätze für die Konstellation fort, dass der Arbeitnehmer noch keine Beteiligung hat, aber eine solche anstrebt. Denn auch für eine künftige Erwerbstätigkeit konnte schon immer Erwerbsaufwand entstehen; das sind die vorweggenommenen Werbungskosten oder Betriebsausgaben. Aber diese künftige Erwerbstätigkeit muss schon hinreichend konkret feststehen; das ist die Grundlage für einen konkreten und objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang. Fehlt ein solcher, ist der Erwerbsaufwand entweder durch die gegenwärtige Erwerbstätigkeit oder durch private Motive veranlasst. Das war auch schon Gegenstand des hier klargestellten Urteils (BFH/NV 2012, 506, BFH/PR 2012, 108), wonach der engere Zusammenhang zu den Lohneinkünften den weiteren Veranlassungszusammenhang zu der erst geplanten, aber nicht verwirklichten Gesellschafterstellung nicht verdrängen konnte.

2. Diese Grundsätze hatte das FG hier nicht beachtet. Denn die Entscheidung über den vorrangigen Veranlassungszusammenhang ist zwar grundsätzlich Sache der Tatsacheninstanz. Die Würdigung muss sich allerdings aus tragfähigen Tatsachengrundlagen ableiten lassen. Daran fehlte es hier. Denn zum hier als vorrangig gewürdigten künftigen Beteiligungserwerb vermisste der BFH Feststellungen dazu, ob, wann, mit wem und mit welchem Inhalt Verhandlungen oder mindestens Gespräche über Grund und Höhe eines künftigen Beteiligungserwerbs geführt wurden. Ein vages in Aussichtstellen einer Beteiligung genügt indessen nicht, um darauf einen Veranlassungszusammenhang zu einer angestrebten Gesellschafterstellung zu gründen, der den Veranlassungszusammenhang zu den gegenwärtig schon erzielten Lohneinkünften verdrängt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 8.7.2015 – VI R 77/14

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