Leitsatz

1. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die sich aus ihrer Gesamtbetätigung heraushebt (richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 S. 1 UStG 1999 i.V.m. § 4 KStG entsprechend Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-RL).

2. Handelt sie dabei auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kommt es für ihre Unternehmereigenschaft auf weitere Voraussetzungen nicht an. Übt sie ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage z.B. durch Verwaltungsakt aus, ist sie Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

3. Eine Gemeinde, die einen Marktplatz sowohl für eine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit als auch als Straßenbaulastträger für hoheitliche Zwecke verwendet, ist aus den von ihr bezogenen Leistungen für die Sanierung des Marktplatzes zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.

4. Auf die Vorsteueraufteilung für Leistungsbezüge, die einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmers dienen, ist § 15 Abs. 4 UStG 1999 analog anzuwenden.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 3, § 15 Abs. 1 und 4 UStG 1999, § 4 KStG, Art. 4 Abs. 5, Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Klägerin (Stadt) betrieb und organisierte auf ihrem Marktplatz (öffentliche Gemeindestraße mit Sondernutzungssatzung) u.a. Wochenmärkte. Ob die Stadt die Standflächen privat- oder öffentlichrechtlich überlassen hatte, war offen.

Das FA versagte den Vorsteuerabzug. Das FG (Sächsisches FG, Urteil vom 02.06.2010, 6 K 519/06, Haufe-Index 2425205) bestätigte das FA: die Stadt habe die Sanierungsleistungen hoheitlich als Straßenbaulastträger bezogen.

 

Entscheidung

Der BFH entschied, weil die Leistungen für die Sanierung des Marktplatzes sowohl der nichtwirtschaftlichen (hoheitlichen) wie auch der wirtschaftlichen (Sondernutzung) Tätigkeit dienten und das FG ein Wettbewerbsverhältnis zu privaten Konkurrenten bejaht hatte, seien die Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 4 UStG aufzuteilen. Die Vorsteueraufteilung kann dabei nach der Anzahl der Markttage erfolgen. Dafür fehlten ausreichende Feststellungen des FG.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Besteuerung der öffentlichen Hand: Werden wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand nicht besteuert, kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen zu privaten Unternehmern. Andererseits wird ihr – zu Unrecht – der Vorsteuerabzug verwehrt.

2. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts (JPöR) ist bei richtlinienkonformer Auslegung Unternehmer, soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt. Umsatz- und Gewinngrenzen sind dabei nicht entscheidend. Handelt sie dabei auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kommt es auf weitere Voraussetzungen nicht an. Erfolgt ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage z.B. durch Verwaltungsakt, ist sie demgegenüber nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Maßgeblich ist dabei die fragliche Tätigkeit als solche, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht. Sie umfasst auch den potenziellen Wettbewerb, sofern die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, real und nicht rein hypothetisch ist (EuGH, Urteil "Isle of Wight", BFH/PR 2009, 63).

3. Auch eine Gemeinde kann eine öffentliche Straße als Unternehmer nutzen, wenn sie sie aufgrund einer Sondernutzung – z.B. durch die Vermietung von Marktstandflächen – selbst für eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit nutzt. Vermietet sie die Flächen privatrechtlich, ist sie Unternehmer; Gleiches gilt bei Überlassung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, wenn ein Wettbewerbsverhältnis zu privaten Konkurrenten besteht.

4. Bei "gemischter Verwendung" für eine wirtschaftliche und eine nichtwirtschaftliche (hoheitliche oder private oder sonst nichtwirtschaftliche) Tätigkeit, ist der Vorsteuerabzug nur zulässig, soweit die Aufwendungen der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen sind (Ausnahme: Sonderfall der Privat­entnahme i.S.v. Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 der 6. EG-RL wegen der Möglichkeit der vollen Zuordnung eines teilweise unternehmerisch, teilweise privat genutzten Gegenstands). Weder die RL noch das nationale Recht enthalten für den Fall der gemischten wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Verwendung eine ausdrückliche Regelung; die Lücke schließt die entsprechende Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 03.03.2011 – V R 23/10

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