Leitsatz

1. Der Anspruch des Jugendhilfeträgers auf Erstattung von Kindergeld wegen erbrachter Jugendhilfeleistungen ist begrenzt auf den Betrag, der gegenüber dem Kindergeldberechtigten durch Bescheid als Kostenbeitrag festgesetzt worden ist.

2. Wird Kindergeld für mehrere Kinder gewährt, ist der Erstattungsanspruch entsprechend § 76 S. 2 Nr. 1 EStG zu ermitteln. Maßgeblich ist der Betrag, der sich bei einer Aufteilung des gesamten Kindergelds nach der Anzahl der Kinder ergibt, für die Kindergeld gezahlt wird.

 

Normenkette

§ 74 Abs. 2, § 76 S. 2 Nr. 1 EStG, § 94 Abs. 3 S. 2 SGB VIII, § 104 Abs. 1 S. 1 und 4 SGB X

 

Sachverhalt

Die Familienkasse setzte gegenüber der beigeladenen Mutter Kindergeld für deren vier Kinder i.H.v. insgesamt 641 EUR (= 3 x 154 + 179 EUR) fest. Das Kindergeld für das älteste Kind wurde mit dem anteiligen Betrag von monatlich 160,25 EUR an dieses Kind abgezweigt. Für die drei jüngsten Kinder übernahm der klagende Träger der Jugendhilfe Leistungen, für die er – in Unkenntnis des älteren Kindes – die Beigeladene zu einem Kostenbeitrag i.H.v. insgesamt 462 EUR monatlich (154 EUR je Kind) heranzog.

Bei der Familienkasse beantragte er, das auf die unterstützten Kinder entfallende Kindergeld an ihn auszuzahlen. Die Familienkasse erstattete daraufhin den auf die unterstützten Kinder entfallenden Kindergeldbetrag i.H.v. 480,75 EUR monatlich. Der Jugendhilfeträger verlangte nunmehr, ohne Erfolg, monatlich insgesamt 487 EUR zu erstatten, d.h. je 154 EUR für zwei Kinder und 179 EUR für das jüngste Kind.

Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.04.2008, 10 K 10321/06 B, Haufe-Index 2016636).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte das FG: Der Jugendhilfeträger könne nur den durch Kostenbeitragsbescheid festgesetzten Betrag beanspruchen. Selbst wenn dieser den Bescheid zwischenzeitlich geändert habe, stehe ihm nur der nach Köpfen ermittelte Teil des Gesamtkindergelds zu.

 

Hinweis

1. Erbringt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Leistungen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses nach §§ 27, 34 SGB VIII, so hat ein Kindergeld beziehender Elternteil einen Kostenbeitrag mindestens in Höhe des Kindergelds zu leisten (§ 94 Abs. 3 SGB VIII). Zahlt der Elternteil den Kostenbeitrag nicht, kann der Jugendhilfeträger das auf dieses Kind entfallende Kindergeld durch Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 S. 1 und 4 SGB X in Anspruch nehmen. Der Kostenbeitragsanspruch wird gegenüber dem Kindergeldberechtigten durch Bescheid festgesetzt und beschränkt sich auf den festgesetzten Betrag.

2. Die Kindergeldbeträge sind für die beiden ersten Kinder niedriger als für die jüngeren Kinder (§ 66 Abs. 1 EStG). Ob sich der Erstattungsanspruch auf das für das jeweilige Kind konkret festgesetzte oder auf das sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder ergebende ("durchschnittliche") Kindergeld richtet, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Demgegenüber ordnet § 74 Abs. 1 S. 2 EStG für die Abzweigung von Kindergeld ausdrücklich die entsprechende Anwendung des § 76 EStG an, wonach eine Pfändung nur bis zu dem sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergelds auf alle Kinder ergebenden Betrag möglich ist.

3. Der BFH hat gleichwohl auch den Erstattungsbetrag nach § 76 S. 2 Nr. 1 EStG ermittelt, weil § 76 EStG Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes sei, dass der Gesamtbetrag des Kindergelds allen Kindern gleichmäßig zugute kommen solle und die Staffelung bei mehreren Kindern nicht auf dem unterschiedlichen Bedarf der einzelnen Kinder beruhe, sondern auf dem mit steigender Kinderzahl überproportional zunehmenden Entlastungsbedarf der Familie. Der durch die sozialrechtliche Pflicht zur Erstattung des Kindergelds abzuschöpfende Vorteil des Kindergeldberechtigten bestehe daher nicht in dem für das betreffende Kind gezahlten Kindergeld, sondern in der nach Kopfteilen anhand des Gesamtkindergelds ermittelten Ersparnis bei der Unterhaltsleistung.

4. Für die entsprechende Anwendung des § 76 S. 2 Nr. 1 EStG spricht auch die Ähnlichkeit der Rechtsposition des Jugendhilfeträgers mit der eines Pfändungsgläubigers. Ohne die analoge Anwendung des § 76 S. 2 Nr. 1 EStG käme es auch zu widersinnigen Ergebnissen, wenn Abzweigung und Erstattung von Kindergeld zusammentreffen und das für die betreffenden Kinder gezahlte Kindergeld unterschiedlich hoch ist: Das für ein älteres Kind abgezweigte Kindergeld übersteigt das für dieses Kind gezahlte Kindergeld, da nach Köpfen aufzuteilen und daher auch ein Teil des höheren Betrags für jüngere Kinder auszuzahlen ist. Wäre für ein jüngeres Kind trotzdem der auf dieses Kind entfallende höhere Betrag zu erstatten, käme es – wie in der Bergpredigt – zu einer wundersamen Vermehrung des Gesamtbetrags.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.04.2010 – III R 43/08

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