Rz. 72

Instrumente der Abschlusspolitik nach IFRS sind sowohl offene als auch verdeckte Wahlrechte in Bilanzierung und Bewertung. Im hier verwendeten Sprachgebrauch bezeichnen "offene" Wahlrechte die Möglichkeit des Bilanzierenden, sich für unterschiedliche Bilanzierungs- und Bewertungsalternativen bei bestimmten Sachverhalten zu entscheiden. Die verdeckten Wahlrechte zeichnen sich dadurch aus, dass formal keine Auswahlentscheidung des Bilanzierenden zwischen verschiedenen Bilanzierungs- oder Bewertungsalternativen vorhanden ist. Stattdessen hat das Management auf einer vorgelagerten Ebene die Möglichkeit, den Abschluss insbesondere durch Einschätzungen und Prognosen derart zu gestalten, dass auf Basis dieser Einflussparameter unterschiedliche Bilanz- und Wertansätze sowie Darstellungsformen möglich sind. Da keine formalen Auswahlentscheidungen zwischen verschiedenen Alternativen zu treffen sind, erscheint es berechtigt, von verdeckten Wahlrechten zu sprechen. Der Begriff der "verdeckten Wahlrechte" wird von einigen Autoren zur Beschreibung dieser Sachverhalte verwendet. Andere Autoren sprechen von Ermessensspielräumen der internationalen Rechnungslegungsvorschriften.[1] Gegenwärtig zählen insbesondere zu den verdeckten Wahlrechten in Bilanzierung und Bewertung:[2]

  • Verdeckte Bilanzierungswahlrechte in der IFRS-Rechnungslegung

    • Aktivierungsvoraussetzungen für selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte (IAS 38.57),
    • Aktivierungsvoraussetzungen für aktive latente Steuern, insbesondere aus Verlustvorträgen (IAS 12.24 und 12.34).
  • Verdeckte Bewertungswahlrechte in der IFRS-Rechnungslegung

    • Wertminderungen langfristiger Vermögenswerte (einschließlich Gruppen von Vermögenswerten; IAS 36 i. V. m. IFRS 3),
    • Wertaufholung einzelner Vermögenswerte bzw. Gruppen von Vermögenswerten (IAS 36.110 ff.),
    • Erst- und Folgebewertung des Goodwill (IAS 36.90 ff.),
    • Nutzungsdauer und Restwert bei abnutzbaren Vermögenswerten (IAS 16.57),
    • Klassifizierung von zur Veräußerung gehaltenen langfristigen Vermögenswerten und Veräußerungsgruppen (IFRS 5),
    • Finanzinstrumente, insbesondere Klassifizierung von Portfolios in ein Geschäftsmodell (IFRS 9. Kap. 4.1.2 a und 4.1.2A a), Bewertung sowie Hedge Accounting (IAS 39 bzw. in eingeschränktem Umfang IFRS 9 aufgrund der Ausrichtung am tatsächlich praktizierten Risikomanagement),
    • Bewertung von Kundenverträgen (IFRS 15),
    • Ermittlung des Leasingzeitraums bei Vorliegen von Optionen in Leasingverträgen (IFRS 16.18) und mit Einschränkung Klassifizierung von Sale-and-Lease-back-Transaktionen (IFRS 16.99),
    • Bewertung (aktiver) latenter Steuern (IAS 12.24 und 12.34),
    • Abgrenzung von Finanzinvestitionen gem. IAS 40 (faktisches Wahlrecht zur Einordnung dieser Immobilien) sowie Bewertung von Finanzinvestitionen im Falle der Anwendung von Bewertungsmodellen zur Schätzung des beizulegenden Zeitwerts,
    • Existenz eines aktiven Marktes als Voraussetzung für die Anwendung der Neubewertungsmethode bei immateriellen Vermögenswerten (IAS 38.75),
    • Schätzung der versicherungsmathematischen Parameter (z. B. Lohn- und Gehalts-, Rententrend, Fluktuation) zur Berechnung der Pensionsrückstellung nach IAS 19 und ähnlicher langfristiger Verpflichtungen gegenüber Arbeitnehmern,
    • Schätzung der Fluktuation der Mitarbeiter sowie der Performance des Unternehmens bei der Bewertung von an Mitarbeiter ausgegebenen Aktienoptionen (IFRS 2.19) sowie
    • die Undurchführbarkeit der vollständigen und/oder eingeschränkten retrospektiven Korrektur von Bilanzierungs- und Bewertungsfehlern sowie der Änderung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden (IAS 8.44  f. und IAS 8.24 f.).
[1] Vgl. z. B. Wagenhofer, Internationale Rechnungslegungsstandards – IAS/IFRS, 6. Aufl. 2009, S. 569 ff.; Müller/Wulf, BB 2001, S. 2206; Hahn, Bilanzbuchhalter und Controller 2003, S. 245 ff.; Tanski, Bilanzpolitik und Bilanzanalyse nach IFRS, Instrumentarium, Spielräume, Gestaltung, 2006, S. 37 ff.
[2] Vgl. im Einzelnen Kirsch, IFRS-Abschlussanalyse, Finanz- und erfolgswirtschaftliche Aspekte, 4. Aufl. 2017, S. 108 ff.

3.3.1 Einschätzungen des Managements

 

Rz. 73

Nach IAS 1.122 sollen "in der Zusammenfassung der wesentlichen Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden oder in den sonstigen Erläuterungen" die Einschätzungen des Managements offengelegt werden, welche das Management bei Anwendung der Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden vorgenommen hat und die einen wesentlichen Einfluss auf den IFRS-Abschluss haben.

IAS 1.124 stellt klar, dass in Einzelfällen entsprechende Offenlegungsvorschriften bereits nach speziellen IFRS existieren und insoweit sich die nach IAS 1.122 vorgeschriebenen Offenlegungspflichten bereits aus diesen Standards ergeben. So sind nach IFRS 12.9a die Gründe anzugeben, warum ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen nicht beherrscht wird. IAS 40.75c verlangt die Angabe der Kriterien, welche die Unternehmensführung bei Schwierigkeiten in der Abgrenzung anwendet, um zwischen den Finanzinvestitionen (Anwendungsbereich des IAS 40) und dem sonstigen Immobilienvermögen (Anwendungsbereich des IAS 16, IAS ...

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