Leitsatz

1. Der Begriff "bestimmter Sachverhalt" erfasst nicht nur einzelne steuererhebliche Tatsachen, sondern auch den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex, sofern die ihn bildenden Sachverhaltselemente einen inneren Zusammenhang aufweisen.

2. Der leistende Unternehmer vereinnahmt ein Entgelt auch dann, wenn der Leistungsempfänger nach Abtretung des Vergütungsanspruchs an den Abtretungsempfänger zahlt.

 

Normenkette

§ 174 Abs. 4 AO, § 3 Abs. 9, § 10, § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG

 

Sachverhalt

Der Kläger erhielt von einer GmbH ein Darlehen, das 1997 und 1998 ausgezahlt wurde. Als Sicherheit trat der Kläger seine Ansprüche aus der Verwertung von Urheberrechten gegenüber der GEMA an die GmbH ab. Der Kläger erfasste die Autorenvergütungen entsprechend den Auszahlungen, die an die GmbH erfolgten, in seinen Steuererklärungen als steuerpflichtig.

Demgegenüber ging das Finanzamt davon aus, dass es beim Kläger bereits aufgrund der Zahlungen der GmbH zu einer Entgeltvereinnahmung gekommen sei, und erließ entsprechende Änderungsbescheide für 1997 und 1998. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens änderte das Finanzamt die Steuerbescheide für die Streitjahre 1999 bis 2001 dahingehend, dass in diesen Jahren – entsprechend der vom Finanzamt für die Vorjahre vertretenen Rechtsauffassung – keine Umsatzsteuerpflicht bestand.

Im Klageverfahren zur Umsatzsteuer 1997 und 1998 hob das Finanzamt die Steueränderungsbescheide 1997 und 1998 auf, da es nunmehr doch von einer bloßen Darlehensgewährung ausging. Daraufhin änderte das Finanzamt erneut die Steuerbescheide für die Streitjahre 1999 bis 2001 nach § 174 Abs. 4 AO, sodass die Umsätze aus den jährlichen Lizenzabrechnungen der GEMA nunmehr – wieder wie ursprünglich – in diesen Jahren erfasst wurden. Demgegenüber hatte die Klage zum Finanzgericht (Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.2.2012, 14 K 1973/11, Haufe-Index 6426696) Erfolg.

 

Entscheidung

Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Entscheidung des Finanzgerichts auf und bejahte die Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4 AO.

 

Hinweis

1. Der bestimmte Sachverhalt i.S.v. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO bezieht sich auf den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Sachverhaltskomplex kann z.B. im Bereich der Umsatzsteuer ein Geldzufluss im Zusammenhang mit einer Forderungsabtretung sein, bei dem sich die Frage stellt, ob eine Darlehensgewährung mit Sicherungszession oder eine Entgeltvereinnahmung vorliegt.

2. Die "irrige Beurteilung" i.S.v. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO erfordert eine unrichtige Beurteilung eines Sachverhaltskomplexes. So ist z.B. die Annahme unrichtig und damit irrig, dass eine Forderungsabtretung gegen Zahlung eines Kaufpreises oder eine Darlehensgewährung einer Entgeltvereinnahmung gleichsteht. Die Abtretung des dem Leistenden zustehenden Anspruchs auf die Gegenleistung ist für die Entgeltbestimmung und -vereinnahmung ohne Bedeutung, da sich das Entgelt nach dem zwischen den Parteien des Leistungsaustausches bestehenden Rechtsverhältnis richtet. Rechtsvorgänge, an denen der Leistungsempfänger nicht beteiligt ist, beeinflussen die Entgeltbestimmung und -vereinnahmung nicht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 12.02.2015, V R 38/13BFH, Urteil vom 12.2.2015 – V R 38/13

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