Leitsatz

1. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).

2. Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.

 

Normenkette

§ 14 Abs. 4, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a, § 14a, § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb in den Streitjahren 2009 bis 2011 Pkws steuerpflichtig von Z, der in 2006 sein Unternehmen in die E-Straße in N verlegt hatte. Die Firma des Z wurde im Handelsregister des Amtsgerichts R eingetragen. Z hatte in der E-Straße Räumlichkeiten angemietet und dort ein Firmenschild angebracht. Z unterhielt dort kein Autohaus, sondern nur ein Büro, da er ausschließlich im Onlinehandel seine Fahrzeuge vertrieb und in dem Büro Post entgegennahm. Das FA versagte den Vorsteuerabzug, da die in den Rechnungen angegebene Anschrift des Z nicht bestanden habe. Die Geschäftsadresse des Z sei nur eine Briefkastenadresse, an der Z lediglich die Post abgeholt habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das FG der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 28.4.2015, 10 K 3803/13, Haufe-Index 8415920, EFG 2015, 1655).

 

Entscheidung

Im Revisionsverfahren richtete der BFH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Im Anschluss an das EuGH-Urteil (EuGH, Urteil vom 15.11.2017, C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, EU:C:2017:867) bestätigte der BFH den Vorsteuerabzug und änderte hierfür seine Rechtsprechung. Aus anderen Gründen hob der BFH gleichwohl das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses soll in einem zweiten Rechtsgang prüfen, ob im Inland steuerpflichtige Lieferungen vorliegen.

 

Hinweis

1. Der BFH hat an die für den Vorsteuerabzug zu erfüllenden Rechnungsanforderungen immer wieder rigide Anforderungen gestellt.

Im Bezug auf die Angabe der Anschrift des leistenden Unternehmers hielt es der BFH zuletzt für erforderlich, den Ort anzugeben, an der leistende Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Ein Ort, an dem der leistende Unternehmer nur postalisch erreichbar ist ("Briefkastenadresse"), sollte nicht ausreichen. Der BFH begründete dies im Kern mit dem Erfordernis einer Besteuerung nach Maßgabe "wirtschaftlicher Realität", die aber durch den "Briefkastensitz" nicht abgebildet, sondern verschleiert werde (BFH, Urteil vom 22.7.2015, V R 23/14, BFH/NV 2015, 1538, BFH/PR 2015, 390, BStBl II 2015, 914). Der BFH hat dies zuletzt damit begründet, dass diese Auslegung der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Missbräuchen als einem von der MwStSystRL anerkannten und geförderten Ziel diene (BFH, Beschluss vom 6.4.2016, V R 25/15, BFH/NV 2016, 1401, BFH/PR 2016, 312, BFHE 254, 139).

2. Großzügiger erweist sich in Bezug auf die Rechnungserfordernisse regelmäßig der EuGH, der auch diese Sichtweise – immerhin auf Vorlage durch den BFH – beendete (EuGH, Urteil vom 15.11.2017, C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, EU:C:2017:867). Danach ist es für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht erforderlich, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Die erforderliche Identifikation des leistenden Unternehmers ergibt sich danach bereits aus der in der Rechnung zusätzlich anzugebenden Steuernummer des Leistenden.

3. Der BFH geht entsprechend den Vorgaben des EuGH nunmehr unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass für die Rechnungsangabe "Anschrift des leistenden Unternehmers" jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift ausreicht, unter der der Unternehmer erreichbar ist.

4. Nach Maßgabe eines Kriteriums postalischer Erreichbarkeit spricht wenig dagegen, auch die Angabe eines Postfaches als ausreichend anzusehen. Da an die Anschriftsangabe unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung beim leistenden Unternehmer und beim Leistungsempfänger keine unterschiedlichen Anforderungen zu stellen sind, kann die diesbezügliche Praxis der Finanzverwaltung, die die Postfachangabe beim Leistungsempfänger ausreichen lässt (Abschn. 14.5 Abs. 2 Satz 3 UStAE), als hinreichend abgesichert angesehen werden.

5. Die Rechtsprechung des BFH wird sich weiter "entwickeln". Der BFH ging bislang davon aus, dass für den Leistungsempfänger eine Obliegenheit besteht, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 22.7.2015, V R 23/14, a.a.O.). Ob dies mit der Sichtweise des EuGH übereinstimmt, ist zumindest zweifelhaft und dürfte für weitere Vorlagen an den EuGH sorgen.

Nicht besser steht es um die BFH-Rechtsprechung, nach der die Gutgläubigkeit an bestimmte Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nur in einem gesonderten Billigkeitsverfahren Berücksichtigung finden soll (vgl. z.B. BFH, Urt...

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