Leitsatz

1. Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV stehen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer nationalen Regelung nicht entgegen, die die Möglichkeit ausschließt, dass eine Muttergesellschaft, die mit einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft, die ihre Tätigkeit eingestellt hat, fusioniert, von ihren steuerpflichtigen Einkünften die in Veranlagungszeiträumen vor der Fusion erlittenen Verluste dieser Tochtergesellschaft in Abzug bringt, während die nationale Regelung eine solche Möglichkeit vorsieht, wenn die Fusion mit einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft erfolgt. Eine solche nationale Regelung ist jedoch mit dem Unionsrecht unvereinbar, wenn sie der Muttergesellschaft nicht ermöglicht, nachzuweisen, dass ihre gebietsfremde Tochtergesellschaft die Möglichkeiten der Berücksichtigung dieser Verluste ausgeschöpft hat und dass es keine Möglichkeiten gibt, dass diese Verluste im Sitzstaat der Tochtergesellschaft von dieser oder von einem Dritten in künftigen Veranlagungszeiträumen berücksichtigt werden.

2. Die Vorschriften zur Berechnung der Verluste der gebietsfremden Tochtergesellschaft für die Zwecke ihrer Übernahme durch die gebietsansässige Muttergesellschaft im Rahmen eines Vorgangs wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen dürfen keine Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Berechnungsvorschriften darstellen, die anwendbar wären, wenn diese Fusion mit einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft durchgeführt worden wäre.

 

Normenkette

Art. 49, Art. 54 AEUV

 

Sachverhalt

Die Klägerin A ist ein finnisches Möbelhandels-Unternehmen. Sie hält alle Anteile an einer schwedischen Tochtergesellschaft (B), die in Schweden eine ähnliche Tätigkeit in drei gemieteten Geschäftslokalen betreibt. A besitzt in Schweden keine weiteren Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen.

Nach geschäftlichen Verlusten schloss B ihre drei Verkaufsstellen. B hatte nicht die Absicht, wieder geschäftliche Tätigkeiten in Schweden aufzunehmen, blieb aber an langfristige Mietverträge für zwei Geschäftslokale gebunden. Ihre Verluste betrugen von 2001 bis 2007 44,8 Mio. SEK.

Nach Einstellung der Tätigkeiten von B plante A eine Fusion mit dieser Tochtergesellschaft. Diese Vorgehensweise wäre wirtschaftlich gerechtfertigt und würde insbesondere die Übernahme der von B geschlossenen Mietverträge durch A ermöglichen. Nach Abschluss dieses Vorgangs sollten die verbliebenen Aktiva, Passiva und Verantwortlichkeiten von B auf A übertragen worden sein, und die Muttergesellschaft würde nicht mehr über eine Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte in Schweden verfügen.

Das finnische Gericht legte die Frage nach der Möglichkeit, die Verluste der B in Finnland steuerwirksam abziehen zu können, dem EuGH vor.

 

Entscheidung

Und der EuGH hat die Frage exakt so beantwortet, wie sich das aus dem Leitsatz und aus den Praxis-Hinweisen hinreichend klar ergibt.

 

Hinweis

Es geht einmal mehr um die (Fortentwicklung der) leidige(n) Frage danach, ob Auslandsverluste unbeschadet ihrer innerstaatlichen Nachbesteuerung wegen des Schutzbereichs der unionsrechtlichen Grundfreiheiten gleichwohl im Inland berücksichtigt werden müssen, weil sie im ausländischen Quellenstaat "final" geworden sind.

1. Zur konkreten Ausgangslage:

Konkret ging es im Urteilsfall um die finnische Muttergesellschaft einer schwedischen Tochtergesellschaft. Letztere hatte ihren Betrieb mit hohen Verlusten eingestellt. Sie sollte nun auf die Muttergesellschaft verschmolzen werden, das nicht zuletzt, um noch laufende Mietverträge abzuwickeln und um die Konzernstruktur zu vereinfachen. Die aufgelaufenen Verluste sollten in Finnland "effektuiert" werden, was nach finnischem Steuerrecht für gebietsansässige Gesellschaften möglich ist, wenn es nicht einzig darum geht, Steuervorteile abzuschöpfen; ein allgemeiner Mißbrauchsvorbehalt ist zu beachten. Darum ging es im Urteilsfall jedoch nicht.

Der EuGH konstatiert die Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Er prüft sodann die Rechtfertigungsgründe nach allbekanntem Muster:

  • Ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten
  • Verhinderung der doppelten Verlustnutzung
  • Verhinderung der Steuerflucht.

Das finnische Steuerrecht trägt diesen Einwänden hinreichend Rechnung: Es verfolgt zum einen berechtigte und mit dem Vertrag zu vereinbarende Ziele und entspricht zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und ist zum anderen zur Erreichung dieser Ziele geeignet.

Jedoch bleibt die Verhältnismäßigkeit zu beachten: "Finale" Verluste müssen abziehbar sein.

2. Zur allgemeinen Ausgangslage:

Mit dem Ganzen baut der EuGH auf seiner bisherigen Spruchpraxis auf und dabei geht es zuvörderst nicht um Verluste selbstständiger Tochtergesellschaften, sondern um ausländische Betriebsstättenverluste.

Deren Nichtberücksichtigung korreliert mit der abkommensrechtlichen Freistellung der ausländischen Betriebsstättengewinne. Beides betrifft nicht die Art und Weise der (inländischen) Besteuerung und zieht insoweit keine Ungleichbehandlungen na...

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