Leitsatz

1. Der Begriff der Kinderbetreuung i.S. d. §§ 4f und 9 Abs. 5 Satz 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26.4.2006 (BGBl I 2006, 1091) ist weit zu fassen. Er umfasst nicht nur die behütende und beaufsichtigende Betreuung, sondern auch die pädagogisch sinnvolle Gestaltung der in Kindergärten und ähnlichen Einrichtungen verbrachten Zeit. Der Bildungsauftrag dieser Einrichtungen hindert den vollständigen Abzug der von den Eltern geleisteten Beiträge und Gebühren grundsätzlich nicht.

2. Nach § 4f Satz 3 EStG nicht begünstigte Aufwendungen für Unterricht oder die Vermittlung besonderer Fähigkeiten liegen nur dann vor, wenn die Dienstleistungen in einem regelmäßig organisatorisch, zeitlich und räumlich verselbstständigten Rahmen stattfinden und die vom Leistungserbringer während der Unterrichtszeit ausgeübte Aufsicht über das Kind und damit die behütende Betreuung gegenüber der Vermittlung der besonderen Fähigkeiten als dem Hauptzweck der Dienstleistung in den Hintergrund rückt.

 

Normenkette

§ 4f, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26.4.2006

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater zweier Kinder, die in den Streitjahren 2006 und 2007 die deutsch-französische Gruppe eines städtischen Kindergartens besuchten. In dem Kindergarten kamen neben deutschen Erzieherinnen auch französische Sprachassistentinnen zum Einsatz, die von einem Verein bezahlt wurden, der die sozialpädagogische Betreuung von Kindern unter besonderer Vermittlung der französischen Sprache und Kultur bezweckt. Die Kinder wurden nach der sog. Immersionsmethode betreut, d.h. die Erzieherinnen sprechen ausschließlich deutsch, die Sprachassistentinnen ausschließlich französisch. Ein Lehrplan existiert nicht. Den Zahlungen des Klägers lag ein gesonderter Leistungsvertrag zugrunde, in dem er sich verpflichtete, für den Einsatz der Sprachassistentinnen festgesetzte Leistungsvergütungen an den Verein zu zahlen.

Das FA lehnte den Abzug der an den Verein gezahlten Leistungsvergütungen als erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten nach § 4f Satz 1 EStG a.F. ab.

Das Sächsische FG (Sächsisches FG, Urteil vom 6.4.2011, 2 K 1522/10, Haufe-Index 2688938, EFG 2012, 810) entsprach der Klage.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1.In den Streitjahren konnten zwei Drittel der erwerbsbedingten Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes wie Betriebsausgaben bzw. bei Überschusseinkünften wie Werbungs­kosten abgezogen werden.

2. Aufwendungen für Unterricht, die Vermittlung besonderer Fähigkeiten sowie für sportliche und andere Freizeitbetätigungen waren nicht begünstigt; diesen Ausschlusstatbestand hat die gegenwärtig geltende Regelung (§ 10 Abs 1 Nr. 5 EStG) beibehalten.

3. Der BFH verweist darauf, dass Tageseinrichtungen für Kinder einen gesetzlichen Förderauftrag haben, der die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes umfasst und sich auf dessen soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung bezieht. Werden dem Kind dort beim Basteln, Werken, gemeinsamen Singen und Musizieren, Einüben eines fremdsprachigen Liedes oder beim Ballspiel handwerkliche, musische, sprachliche oder sportliche Fähigkeiten vermittelt, dann steht dies einer Berücksichtigung der dafür geleisteten Aufwendungen nicht entgegen, unabhängig davon, ob es sich hierbei um allgemeine oder besondere Fähigkeiten handelt. Denn die Vermittlung besonderer Fähigkeiten steht dort nicht im Vordergrund, sondern ist unselbstständiger Bestandteil der Betreuung. Die gesonderte Berechnung einer derartigen qualifizierten Betreuung in einer Kindertagesstätte ist unschädlich.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 19.4.2012 – III R 29/11

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