I. Allgemeine Zwecke von Rechnungslegung

 

Tz. 25

Stand: EL 38 – ET: 6/2019

Die Rechnungslegung ist international durch viele theoretische Entwicklungen und nationale Besonderheiten geprägt und stetig weiterentwickelt worden (Küting/Hayn, in: HdR, 5. Aufl., Kap. 1, Tz. 101). Besonders die Zwecke der Rechnungslegung sind seit den Geburtsjahren der bilanztheoretischen Diskussion einem heftigen Philosophienstreit ausgesetzt gewesen. Grundsätzlich lässt sich die Welt der Rechnungslegung nach ihren Grundmodellen in vier Klassen einteilen (vgl. Rost, 1991, S. 67–69):

1) das kontinentaleuropäische Modell;
2) das angelsächsische Modell;
3) das südamerikanische Modell; und
4) das sozialistische Modell.
 

Tz. 26

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Diese Modelle haben sich nie gleichbedeutend gegenübergestanden (vgl. Havermann, in: FS Moxter, 1994, S. 659). Das von Inflationsdenken geprägte südamerikanische Modell und das in Planungs- und Kontrollmechanismen eingebettete sozialistische Modell sind primär politisch motiviert und daher per se nur temporärer Natur. Aufgrund der Entwicklung in Südamerika hin zum internationalen Kapitalmarkt und der politischen Veränderungen in den sozialistischen Staaten haben diese Modelle ihre Bedeutung weitgehend verloren. Der Widerstreit der Philosophien reduziert sich damit aus heutiger Sicht im Wesentlichen auf das kontinentaleuropäische und das angelsächsische Modell.

 

Tz. 27

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Im kontinentaleuropäischen Modell nehmen neben dem Rechenschaftszweck der Gläubigerschutz und die langfristige Sicherung des Unternehmens eine bedeutsame Stellung ein (vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, 14. Aufl., S. 98–102; Baetge/Löw/Brüggemann, in: HdR, 5. Aufl., Kap. 1, Tz. 401–407). Folgerichtig ist der Grundsatz der Vorsicht bspw. im deutschen HGB stark ausgeprägt (vgl. Heuser/Theile, 5. Aufl., Tz. 11; Leffson, 7. Aufl., S. 465–475). Das gilt auch für den Konzernabschluss, obwohl hier Gläubigerschutzaspekte im Vergleich zum Einzelabschluss eine erheblich geringere Bedeutung haben. Der Gläubigerschutz ist aber auch aus Konzernsicht nicht gänzlich zu vernachlässigen (vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, 12. Aufl., S. 45). Im deutschen Handelsrecht werden die Jahresabschlusszwecke der Rechenschaft und Kapitalerhaltung gleichrangig berücksichtigt. Auch durch das BilMoG hat sich keine andere Gewichtung der Jahresabschlusszwecke ergeben (vgl. Baetge/Kirsch/Solmecke, WPg 2009, S. 1221f.).

 

Tz. 28

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In der angelsächsischen Rechnungslegungsphilosophie, der auch die IFRS zuzuordnen sind, hat der Gläubigerschutz nur eine untergeordnete Bedeutung (vgl. Haller, in: Ballwieser, 4. Aufl., 2000, S. 10; Heuser/Theile, 5. Aufl., Tz. 11f.). Im Vordergrund stehen die Leistung (performance) und die wirtschaftliche Lage (financial position) des Unternehmens. Diese bilden die Informationsgrundlage für die Entscheidungsfindung der Abschlussadressaten (vgl. Baetge, in: Internationalisierung der Wirtschaft, 1993, S. 113). Der (stärkere) Kapitalgeberbezug angelsächsisch geprägter Rechnungslegungssysteme geht auf den historisch bedingt stärkeren Kapitalmarkteinfluss zurück, wonach eine Kapitalmobilisierung mit einem unzureichenden Berichtswesen der Unternehmen nicht möglich erscheint (vgl. Wagner, DB 1998, S. 2074). Der besondere Fokus auf Kapitalgeber führt zu sehr umfangreichen Angabepflichten (disclosures) und zu einer Abschwächung des Vorsichtsprinzips (prudence principle) zugunsten einer periodengerechten Gewinnermittlung (accrual accounting) (Heuser/Theile, 5. Aufl., Tz. 12). Die Durchsetzbarkeit einer derartigen Konzeption scheitert nicht an steuerlichen Bedenken, da der Jahresabschluss im angelsächsischen Raum, wie auch der IFRS-Abschluss, angesichts eines fehlenden Maßgeblichkeitsprinzips keine formalrechtlichen Auswirkungen auf die Besteuerung hat (vgl. Hayn/Waldersee, 6. Aufl., S. 43; zu den möglichen Auswirkungen der internationalen Rechnungslegung auf das Maßgeblichkeitsprinzip in Deutschland vgl. Jessen/Weller, DStR 2005, S. 535).

 

Tz. 29

Stand: EL 38 – ET: 6/2019

Der Kapitalgeberbezug des angelsächsischen Modells kommt nicht nur durch die Form und den Umfang der Berichterstattung zum Ausdruck, sondern zeigt sich auch in der Zielvorstellung, eine möglichst zeitnahe Berichterstattung zur Verfügung zu stellen (ausführlich zur zeitnahen Berichterstattung vgl. Tz. 62). Konkrete Hinweise auf eine Zeitspanne bis zur Veröffentlichung des IFRS-Abschlusses sind in den Regelungen des IASB indes nicht kodifiziert. Die herrschende Praxis der Unternehmensberichterstattung kapitalmarktorientierter Unternehmen in Deutschland zeigt, dass der Trend zur schnellen Veröffentlichung von Jahresabschlüssen geht (fast close). Dieser Trend macht deutlich, dass die Unternehmen und vor allem der Kapitalmarkt der Aktualität der Rechnungslegung eine hohe Bedeutung beimessen (vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), in: Haufe IFRS-Komm., 16. Aufl., § 1, Tz. 67). Unter dem Blickwinkel der timeliness sind auch die Regelungen des IASB über Inhalt und Ausgestaltung der Zwischenberichte...

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