Tz. 77

Stand: EL 51 – ET: 10/2023

Nachdem die maßgeblichen Tätigkeiten bestimmt wurden, ist zu prüfen, ob, und wenn ja, welcher Investor aufgrund bestehender Rechte die gegenwärtige Fähigkeit hat, die maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens zu steuern (IFRS 10.10). Gemäß IFRS 10.11 basiert Verfügungsgewalt auf rechtlich gesicherten (oder faktischen) Ansprüchen (power arises from rights). Die Beurteilung der Verfügungsgewalt kann dabei zum Teil sehr einfach sein (zB bei der Mehrheit der Stimmrechte und fehlenden abweichenden Entscheidungsregelungen), zum Teil können aber auch eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen sein (dies gilt vor allem bei strukturierten Unternehmen, vgl. Tz. 133 ff.). Zudem können die Ansprüche, welche die Verfügungsgewalt über ein Beteiligungsunternehmen begründen, von Investor zu Investor sowie von Beteiligungsunternehmen zu Beteiligungsunternehmen verschieden sein (IFRS 10.B14). Die Verfügungsgewalt kann sich ua. aus Stimmrechten, potenziellen Stimmrechten (Optionen oder wandelbaren Instrumenten), Rechten zur Ernennung oder Abberufung von Mitgliedern der Unternehmensführung des Beteiligungsunternehmens, Rechten zur Bestellung oder Absetzung eines anderen Unternehmens, das an Entscheidungen über die maßgeblichen Tätigkeiten partizipiert, oder Weisungsrechten gegenüber dem Beteiligungsunternehmen ergeben (IFRS 10.B15).

 

Tz. 78

Stand: EL 51 – ET: 10/2023

Grundsätzlich vermitteln Stimmrechte (allein oder in Kombination mit anderen vertraglichen Regelungen) Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen. Dies gilt vor allem, wenn eine Vielzahl von maßgeblichen Tätigkeiten vorliegt und fortlaufend substanzielle Entscheidungen in Bezug auf diese Aktivitäten getroffen werden müssen (IFRS 10.B16).

 

Tz. 78a

Stand: EL 51 – ET: 10/2023

Bei manchen Beteiligungsunternehmen werden die maßgeblichen Tätigkeiten über gesellschaftsrechtliche oder vertragliche Vereinbarungen bestimmt. Beispielsweise weil sich die Stimmrechte nur auf Verwaltungsaufgaben beziehen (IFRS 10.B17). Gerade in derartigen Fällen kann es für den Investor schwierig sein zu beurteilen, ob seine Rechtsposition ausreicht, um Verfügungsgewalt über die maßgeblichen Tätigkeiten zu haben. Zusätzlich hat der Investor in diesen Fällen berücksichtigen, ob er die praktische Fähigkeit zur einseitigen Lenkung der maßgeblichen Tätigkeiten hat, ob er in einer besonderen Beziehung zum Beteiligungsunternehmen steht und mehr als einen passiven Eigentumsanteil am Beteiligungsunternehmen hält sowie das Ausmaß der Risikobelastung aus dem Investment, der der Investor unterliegt. Des Weiteren hat der Investor den Zweck und die Gestaltung des Beteiligungsunternehmens zu berücksichtigen (vgl. Tz. 67), seine Rolle bei der Gründung des Beteiligungsunternehmens sowie seine Rechte, die bei der Gründung des Beteiligungsunternehmens festgeschrieben wurden, in die Beurteilung einzubeziehen (vgl. Tz. 125ff.). Zuletzt hat der Investor auch zu berücksichtigen, ob er als Sponsor des Beteiligungsunternehmens dahingehend verpflichtet ist, den Betrieb des Unternehmens weiterzuführen (vgl. Tz. 139ff.).

 

Tz. 79

Stand: EL 51 – ET: 10/2023

Damit eine Rechtsposition auch zu einer Verfügungsgewalt führt, muss sie die gegenwärtige Fähigkeit begründen, die maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens zu steuern. Dabei spielen Zweck und Gestaltung des Beteiligungsunternehmens eine entscheidende Rolle (zB ist zu berücksichtigen, wer die jeweiligen Ansprüche gewährt hat, welche Leistungen/Gegenleistungen vereinbart wurden, und ob andere Investoren diese Ansprüche ebenfalls erhalten haben). Es sind nur substanzielle Rechte des Investors sowie anderer Parteien zu berücksichtigen, dh. der Rechteinhaber muss auch praktisch in der Lage zur Ausübung des Rechts sein (IFRS 10.B9 iVm. B22ff.), das ihm Entscheidungsbefugnisse auf das Beteiligungsunternehmen einräumt. Sofern ein Investor nur über Schutzrechte verfügt (vgl. Tz. 84 ff.), hat er keine Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen und beherrscht es somit nicht (IFRS 10.14).

 

Tz. 80

Stand: EL 51 – ET: 10/2023

Ob ein Recht substanziell ist, hängt vom Einzelfall und den jeweiligen Sachverhalten und Umständen ab. IFRS 10.B23 enthält hierzu eine (nicht vollständige) Aufzählung von zu beachtenden Faktoren:

  1. Liegen (wirtschaftliche, tatsächliche oder sonstige) Hindernisse vor, welche den Investor von der Ausübung der Ansprüche abhalten (zB Vertragsstrafen, hohe Ausübungspreise, zeitliche Restriktionen, Informationsasymmetrien, rechtliche Beschränkungen)?
  2. Inwieweit wird die Möglichkeit der Ausübung von Ansprüchen bei einer Vielzahl von (zustimmungspflichtigen) Investoren beeinträchtigt (je weniger (zustimmungspflichtige) Investoren vorhanden sind, desto substanzieller ist das entsprechende Recht; bei vielen Investoren könnte zB ein unabhängiges Geschäftsführungsgremium eingerichtet werden)?
  3. In welcher Höhe profitiert der Investor von der Ausübung der Ansprüche (zB ein potenzielles Stimmrecht ist "im Geld" (vgl. Tz. 1...

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