Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Übung –
Leitsatz (amtlich)
1. Eine – für den Arbeitnehmer erkennbar – auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung begründet keine Ansprüche der Leistungsempfänger aus einer betrieblichen Übung für zukünftige Jahre.
2. Ein Widerrufsvorbehalt bzw. die Mitteilung, daß die Leistung freiwillig erfolgt, ist in diesem Fall nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen.
Normenkette
BGB §§ 242, 611
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. August 1996 – 10 Sa 2239/95– aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 26. Oktober 1995 –3 Ca 687/95– abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe von jeweils 100,– DM für die Jahre 1992 bis 1994, sowie die Zahlungspflicht der Beklagten für die Folgejahre.
Der Kläger war bis zum Jahr 1985 bei der Beklagten als Angestellter im Vertrieb beschäftigt. Im Jahr 1985 trat er in den Ruhestand. Er bezieht seitdem neben den Rentenbezügen aus der gesetzlichen Altersversorgung von der Beklagten eine Betriebsrente gemäß der am 1. Januar 1983 gültigen Versorgungszusage für die Mitarbeiter der M. Zusätzlich erhielt der Kläger in den Jahren 1985 bis einschließlich 1991 jeweils Anfang Dezember eine weitere Zahlung in Höhe von 100,– DM. Der Kläger wurde darüber wie folgt informiert:
- Im Jahr 1985: Schreiben der Beklagten vom 18. November: „Wir haben uns lange überlegt, ob wir Ihnen in diesem Jahr mit einem Weihnachtspaket oder mit einem Barbetrag wieder eine kleine Freude zum Ende des Jahres bereiten könnten. Entschlossen haben wir uns zu einer Sonderzahlung von DM 100,–. Der Betrag wird zusammen mit der Firmenrente zum Ende dieses Monats zur Auszahlung gebracht.”
- Im Jahr 1986: Schreiben der Beklagten vom 18. November: „Gern teilen wir Ihnen mit, daß wir uns auch in diesem Jahre zu einer Sonderzahlung von DM 100,– entschlossen haben.”
- Im Jahr 1987: Schreiben der Beklagten vom 16. November: „Wir haben uns erneut zu einer Sonderzahlung in Höhe von DM 100,– entschlossen, die wir Ihnen mit der Firmenrente zum Ende dieses Monats zukommen lassen möchten.”
- Im Jahr 1988 wurde eine Sonderzahlung in Höhe von DM 100,– ohne weitere Information an die Firmenrentner der Beklagten gezahlt.
- Im Jahr 1989: Schreiben vom November: „Des weiteren möchten wir Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir mit der Firmenrente zum Ende dieses Monats eine Sonderzahlung von DM 100,– brutto anweisen werden.”
- Im Jahr 1990: Schreiben der Beklagten vom November: „Mit einer Sonderzahlung in Höhe von DM 100,– brutto zum Ende dieses Monats hoffen wir, Ihnen eine kleine Freude bereiten zu können.”
- Im Jahr 1991: Schreiben der Beklagten vom November: „Eine kleine Freude hoffen wir Ihnen mit der Sonderzahlung in Höhe von DM 100,– brutto zum Ende dieses Monats bereiten zu können.”
Im Jahre 1992 erhielt der Kläger ein Sachgeschenk in Form eines …-Kaffeeautomaten; dies wurde im Schreiben der Beklagten vom 2. November 1992 wie folgt mitgeteilt: „Anstelle einer Sonderzahlung möchten wir Ihnen in diesem Jahr mit unserem neuen …-Kaffeeautomaten eine kleine Freude bereiten.”
In den Jahren 1993 und 1994 erhielt der Kläger weder ein Sachgeschenk noch eine Sonderzahlung in Höhe von 100,– DM.
Im Jahre 1992 hatte die Beklagte aus Kostengründen die freiwillige Leistung an die aktiven Mitarbeiter abgebaut. Aus diesem Grund stellte die Beklagte auch die Sonderzahlung in Höhe von 100,– DM an die Betriebsrentner ein. Ob hierzu die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt worden ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Sonderzahlung von 100,– DM pro Jahr seit 1992. Er ist der Auffassung, nach der jahrelangen vorbehaltlosen Zahlung von 1985 bis 1991 sei die Beklagte aufgrund betrieblicher Übung weiterhin verpflichtet, eine solche jährliche Sonderzahlung zu erbringen. Ein ausdrücklicher Widerruf der Zahlung sei nicht erfolgt; die Beklagte sei auch nicht berechtigt, die Leistung einzustellen, da ein sachlicher Grund hierfür nicht gegeben sei.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 300,– DM nebst 4% Zinsen aus jeweils 100,– DM seit dem 2. Dezember 1992, 2. Dezember 1993 und 2. Dezember 1994 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Dauer seines Ruhestandsverhältnisses jeweils zum 1. Dezember der Folgejahre gleichfalls 100,– DM Sonderzahlung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf Zahlung der jährlichen Sonderleistung in Höhe von 100,– DM. Die Unternehmensleitung der Beklagten habe jeweils im Oktober eines Jahres geprüft, ob den Betriebsrentnern ein Weihnachtsgeld in Form von Geld oder Sachgeschenken gewährt werden soll. Die Entscheidung sei den Betriebsrentnern sodann in einem Schreiben mitgeteilt worden, wobei der Geschenkcharakter dieser Sonderzahlung durch den Inhalt des Schreibens deutlich geworden sei. Aus den Schreiben werde auch ersichtlich, daß die Beklagte die weihnachtlichen Geldgeschenke immer unter Vorbehalt gezahlt habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung in Höhe von 100,– DM aufgrund einer betrieblichen Übung. Die entgegenstehenden Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts sind daher aufzuheben bzw. abzuändern und die Klage abzuweisen.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger könne in den Jahren 1992 bis 1994 sowie in den Folgejahren eine jährliche Sonderleistung in Höhe von 100,– DM als vertragliche Leistung aufgrund einer von der Beklagten gesetzten betrieblichen Übung verlangen. Das Entstehen eines vertraglichen Gratifikationsanspruchs aus betrieblicher Übung sei nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger sich nicht mehr in einem aktiven Arbeitsverhältnis bei der Beklagten befunden habe, sondern ihm lediglich Betriebsrentenansprüche zustanden. Die Voraussetzungen für das Entstehen einer betrieblichen Übung seien gegeben, da die Beklagte dem Kläger seit seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1985 jeweils Anfang Dezember eines jeden Jahres eine Sonderzahlung in Höhe von 100,– DM ohne Vorbehalt gewährt habe. Aus der Art und Weise der Zahlungsankündigung in den jährlichen Mitteilungen der Beklagten ergebe sich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, daß über die Gewährung der Sonderzahlung jedes Jahr neu entschieden werden soll. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne daraus nicht mit der erforderlichen Unmißverständlichkeit entnommen werden, ebensowenig ein Widerrufsvorbehalt. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, daß es sich bei der jährlichen Sonderleistung um eine Schenkung gehandelt habe.
Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Weitergewährung einer jährlichen Sonderzahlung von 100,– DM aufgrund einer betrieblichen Übung. Eine betriebliche Übung ist nicht entstanden; es kann daher dahinstehen, ob sich der Kläger als Betriebsrentner überhaupt auf eine betriebliche Übung als Anspruchsgrundlage stützen könnte.
1. Die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung sind nicht gegeben.
a) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden (BAG Urteil vom 12. Januar 1994 –5 AZR 41/93– AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG Urteil vom 6. September 1994 –9 AZR 672/92– AP Nr. 45 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG Urteil vom 28. Februar 1996 –10 AZR 516/95– AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Aus diesem als Willenserklärung zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf üblich gewordene Leistungen. Bei der Anspruchsentstehung ist nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers ausschlaggebend, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mußte und durfte. Will der Arbeitgeber verhindern, daß aus der Stetigkeit eines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muß er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. In welcher Form dies geschieht, ist nicht entscheidend; erforderlich ist jedoch, daß der Vorbehalt klar und unmißverständlich kundgetan wird (BAG Urteil vom 12. Januar 1994 –5 AZR 41/93– a.a.O.).
b) Ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers danach eine betriebliche Übung mit einem Anspruch der Arbeitnehmer auf die zukünftige Gewährung der Leistung entsteht oder lediglich eine Entscheidung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist, hat der Tatsachenrichter zu ermitteln (BAG Urteil vom 28. Februar 1996 –10 AZR 516/95– AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob der angenommene Erklärungswert des tatsächlichen Verhaltens den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB entspricht und mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar ist (BAG Urteil vom 17. September 1970 – 5 AZR 539/69- BAGE 22, 429, 433 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG Urteil vom 12. Januar 1994 –5 AZR 41/93– AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Zu beurteilen ist, ob das Landesarbeitsgericht anhand der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalles (§ 561 Abs. 2 ZPO) zu einem zutreffenden Auslegungsergebnis gelangt ist.
c) Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend aus der tatsächlichen Zahlung der Beklagten und den sonstigen Umständen, insbesondere bei Berücksichtigung der jeweiligen Schreiben der Beklagten, kein Anspruch des Klägers auf die jährliche Sonderzahlung aufgrund einer betrieblichen Übung hergeleitet werden.
Die mehr als dreimalige Gewährung der Sonderzahlung führt zwar grundsätzlich zu einem Anspruch aus betrieblicher Übung; dies gilt aber nicht, wenn aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Zahlung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist (BAG Urteil vom 28. Februar 1996 –10 AZR 516/95– AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Dies ist vorliegend der Fall. Aus den Ankündigungsschreiben der Beklagten in den Jahren 1985 bis 1987 und 1989 bis 1991 folgt, daß ein Anspruch der Betriebsrentner auf die Sonderzahlung nur für das jeweilige Jahr gegeben ist. Der Inhalt der Ankündigungsschreiben (1985:„… in diesem Jahr,…”; 1986:„… auch in diesem Jahr,…”; 1987:„… erneut, …”) zeigt, daß die Sonderzahlung an die Betriebsrentner nicht ohne jede Einschränkung und auf Dauer gewährt werden sollte. Aufgrund dieser Ankündigungsschreiben konnten die Betriebsrentner nicht annehmen, daß sie auch in Zukunft mit einer gleichen Sonderzahlung rechnen durften (BAG Urteil vom 12. Januar 1994 –5 AZR 41193– a.a.O.); ein rechtlich geschütztes Vertrauen auf die Fortsetzung des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin konnte sich daraus nicht bilden. Entsprechend der Entscheidung des Fünften Senats vorn 12. Januar 1994 (–5 AZR 41/93– a.a.O.) ist dabei auch zu berücksichtigen, daß die Sonderzahlung in Anbetracht ihrer jeweiligen Höhe nicht als materiell ins Gewicht fallende Leistung anzusehen ist und letztlich nur eine Annehmlichkeit bedeutete.
Auch soweit die Ankündigungsschreiben der Beklagten für die Jahre 1989 bis 1991 einen Bezug auf das jeweilige Jahr nicht in der Deutlichkeit wie die früheren Schreiben der Beklagten enthalten, ergibt sich auch aus diesen Schreiben, daß nur im jeweiligen Kalenderjahr die Sonderzahlung gewährt werden soll; dies findet u.a. darin Ausdruck, daß die Beklagte ausführt, mit der Sonderzahlung dem Betriebsrentner „eine kleine Freude” bereiten zu wollen.
d) Ist somit bereits aus den Umständen der jeweiligen Zahlung und deren Ankündigung in den Schreiben der Beklagten eine betriebliche Übung nicht herzuleiten, weil für die Betriebsrentner erkennbar war, daß das Versprechen der Sonderzahlung jeweils nur für das betreffende Jahr galt (BAG Urteil vom 6. September 1994 –9 AZR 672/92– a.a.O.), so kommt es darauf, ob sich die Beklagte mit ihrer Ankündigung der Sonderzahlung jeweils den Widerruf der Sonderleistung vorbehalten bzw. die Freiwilligleit der Leistung zum Ausdruck gebracht hat, nicht an. War für die Leistungsempfänger erkennbar, daß sich die Zusage der Leistung nur auf das jeweilige Kalenderjahr bezog, ist der Vorbehalt des Widerrufs der Leistung bzw. die Mitteilung, daß die Leistung freiwillig erfolgt, nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen. Eine auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung erzeugt keine Ansprüche der Leistungsempfänger für zukünftige Jahre (BAG Urteil vom 6. September 1994 –9 AZR 672/92– a.a.O.).
e) Zum gleichen Ergebnis führt die Überlegung, daß der Sonderzahlung des Beklagten in den Jahren 1985 bis 1991 aufgrund der besonderen Umstände und der jeweiligen Ankündigungsschreiben ein Entgeltcharakter nicht zukommt. Zwar haben Zahlungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Entgeltcharakter, sie sind auch bei freiwilliger Leistung kein Geschenk (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 78 I 6, S. 555). Das folgt daraus, daß eine Sonderzahlung eine Anerkennung und damit eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Arbeit sein kann oder ein Entgelt für in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue bzw. ein Anreiz für künftige Betriebstreue (BAG Urteile vom 18. Januar 1978 –5 AZR 56/77 und 5 AZR 685/77– AP Nr. 92 und 93 zu § 611 BGB Gratifikation). Gegen den Entgeltcharakter der von der Beklagten in den Jahren 1985 bis 1991 erbrachten Sonderleistung spricht aber, daß es sich um einen relativ geringen Betrag handelte und ein Bezug zur Arbeitsleistung der Betriebsrentner nicht mehr gegeben ist.
2. Da der Anspruch des Klägers somit nicht auf eine betriebliche Übung gestützt werden kann und eine andere Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist, sind die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts aufzuheben bzw. abzuändern; die Klage ist abzuweisen.
Auf die Frage, ob eine Verurteilung der Beklagten für die Folgejahre nach § 258 ZPO zulässig ist, kommt es nicht an.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen