Finanzsteuerung: Dezentraler Einkauf, zentrale Budgethoheit

Der indirekte Einkauf ist in vielen Unternehmen eine Blackbox: unorganisiert, unkontrolliert, intransparent. Leidtragende ist insbesondere die Finanzbuchhaltung, die durch die Abstimmung von Bestellungen, Lieferscheinen und Rechnungen unnötig beschäftigt wird. In diesem Gastbeitrag beschreibt Bettina Fischer die Herausforderung und gibt Empfehlungen zu Organisation, Prozessoptimierung und Systemen, um Effizienz und Transparenz beim indirekten Einkauf zu erreichen.

„Ich sehe die Kosten erst, wenn sie gebucht sind.“

Viele Jahre lang habe ich ERP-Implementierungsprojekte und Finanzprozesse begleitet – im Mittelstand ebenso wie im Konzern. Was mich dabei immer wieder überrascht hat: Trotz moderner Systeme und detaillierter Planung geraten Ausgaben in vielen Unternehmen außer Kontrolle – nicht wegen böser Absicht, sondern weil es an Struktur, Klarheit und Übersicht fehlt.

Diese Erkenntnis traf mich das erste Mal vor über zehn Jahren – als Teil eines Projektteams für die Einführung eines SAP-Retail-Systems. Das Investitionsvolumen: 500 Millionen Euro. Das Ergebnis: nur semi-erfolgreich. Ich erinnere mich an die Ratlosigkeit, als die Kosten aus dem Ruder liefen und niemand genau sagen konnte, wo das Budget geblieben war. Heute – in einer anderen Rolle – begegnen mir ähnliche Situationen regelmäßig.

Eine Finanzleiterin eines mittelständischen Unternehmens mit rund 400 Mitarbeitenden sagte mir kürzlich:

„Wir haben unsere Budgets monatsgenau geplant – und trotzdem stimmen sie hinten und vorne nicht.“

Manche CFOs berichten sogar, dass sie öffentlich über LinkedIn von Lieferanten an überfällige Zahlungen erinnert werden – eine Entwicklung, die nicht nur unangenehm, sondern auch potenziell reputationsschädigend ist.

Maverick Spend: Wie unkontrollierte Ausgaben die Budgetierung umgehen

Fachabteilungen beauftragen Software, Agenturen oder externe Dienstleister, ohne den Einkauf oder die Buchhaltung frühzeitig zu informieren. Die Rechnung trifft oft Wochen später ein – ohne Bestellnummer, ohne Budgetbezug, ohne Kontext. In der Finanzsprache spricht man vom sogenannten „Maverick Spend“ – unkontrollierten Ausgaben, die außerhalb definierter Einkaufsprozesse stattfinden.

Für die Finanzabteilung bedeutet das:

  • Nachbearbeitung und Rückfragen
  • fehlende oder falsche Buchungen
  • nicht eingehaltene Budgets
  • verzögerte Zahlungen und Mahngebühren
  • schlechtere Planbarkeit und Forecast-Qualität

Der indirekte Einkauf: Komplex, dezentral – und oft unstrukturiert

Besonders betroffen ist der sogenannte indirekte Einkauf – also all jene Güter und Dienstleistungen, die nicht direkt in ein Produkt eingehen, sondern den internen Betrieb unterstützen: IT, Bürobedarf, externe Berater, Reinigungsdienste und vieles mehr.

Die Herausforderungen hier sind typisch:

  • Viele Bestellende, aber kein einheitlicher Prozess
  • Zahlreiche Lieferanten, aber keine gebündelten Verträge
  • Hohe Varianz im Bedarf, aber keine zentrale Erfassung
  • Einkauf auf Zuruf statt strukturierter Genehmigungswege

In der Praxis zeigt sich das so:

  • Bestellungen per E-Mail, auf Webseiten oder über persönliche Kontakte
  • Einkauf wird umgangen oder zu spät involviert
  • Preise werden nicht verhandelt, Konditionen nicht dokumentiert
  • Budgetabgleiche erfolgen – wenn überhaupt – im Nachhinein
  • Prozesse laufen über Outlook, Excel oder schlicht „nach Gefühl“

Ergebnis: Auch kleine Ausgaben verursachen überproportional hohen Aufwand – und dieser Aufwand landet fast immer bei der Finanzbuchhaltung.

Folgen für die Buchhaltung – und fürs Unternehmen

Die Finanzbuchhaltung sieht sich mit wachsender operativer Belastung konfrontiert:

  • Späte Sichtbarkeit von Ausgaben
     → Rechnungen treffen erst nach Leistungserbringung ein – ohne Belegkette
  • Hoher manueller Aufwand
     → Kostenstellen, Kontierungen und Belege müssen aufwändig nachträglich beschafft werden
  • Abstimmungschaos
     → Rückfragen, Eskalationen und unklare Zuständigkeiten häufen sich
  • Verpasste Budgetziele
     → Forecasts weichen stark von der Realität ab – Budgets werden überzogen oder nicht ausgeschöpft
  • Compliance-Risiken
     → Ohne saubere Genehmigungen oder nachvollziehbare Dokumentation leidet die Auditfähigkeit

Warum entstehen diese Schattenprozesse?

Diese Probleme entstehen nicht aus Absicht, sondern aus strukturellem Mangel. Die Gründe sind überall ähnlich:

Ursache

Auswirkung

Kein definierter Einkaufsprozess

Jeder bestellt, wie er es kennt – oft außerhalb der Systeme

Fehlendes Budgetverständnis

Budgets werden als Formalie gesehen, nicht als Steuerungsinstrument

Keine systemische Unterstützung

Kein zentrales Tool, keine Integration, keine Datenbasis -> keine Transparenz

Angst vor Bürokratie & Verzögerung

Einkauf wird als Bremse empfunden und bewusst umgangen

Unklare Verantwortlichkeiten

Wer darf was genehmigen? Wer ist zuständig? – Unklarheiten sind an der Tagesordnung

Was funktioniert in der Praxis? Struktur statt Kontrolle.

Es braucht keine neue Bürokratie – sondern Transparenz, Einfachheit und digitale Unterstützung. Sobald Mitarbeitende wissen, wie und wo sie Bedarfe korrekt erfassen können, lassen sich Probleme frühzeitig erkennen. Diese Struktur lässt sich einfach mit der passenden Software umsetzen.

Einkaufssoftware - Der ideale Workflow

Fünf zentrale Bausteine haben sich bewährt:

  1. Klare Einkaufsprozesse für indirekten Bedarf
     → Wer darf was bestellen? Welches Budget wird belastet? Gibt es günstigere Quellen?
  2. Systemgestützte Bedarfserfassung
     → Ein zentrales Tool entlastet Einkauf und Buchhaltung – und gibt Struktur.
  3. Echtzeit-Budgetprüfung
     → Budgetverantwortliche sehen sofort: Reicht mein Budget für diese Bestellung?
  4. Automatische Rechnungserfassung
     → Rechnungen werden automatisch zugeordnet und verarbeitet – ohne Rückfragen.
  5. Vorbereitende Buchhaltung mit Vorkontierung
     → Sachkonten und Kostenstellen werden schon bei der Bestellung mitgeführt.

Praxisbeispiel: Logistikdienstleister modernisiert Einkaufsprozesse

Ein mittelständisches Logistikunternehmen mit rund 5.000 Mitarbeitenden stand vor den klassischen Problemen: analoge Prozesse, viele Medienbrüche, hoher Abstimmungsaufwand – insbesondere im indirekten Einkauf. Die Folge: Maverick Buying, ineffiziente Preisgestaltung, unklare Budgets, verspätete Finanzabschlüsse.

Mit Einführung eines durchgängigen Procure-to-Pay-Prozesses – vollständig in das ERP integriert – wurde eine radikale Veränderung angestoßen. Bereits im ersten Quartal nach Go-live:

Vorher

Nachher

70.000 Belege/Jahr, meist ohne Bestellbezug

80 % der Rechnungen mit genehmigter Bestellung

Viele manuelle Schritte, keine Kostenstellenzuordnung

Automatisierte Vorkontierung und ERP-Integration

2 Tage/Woche Abstimmung im FiBu-Team

>4 FTE Einsparung durch Effizienzgewinn

Keine Echtzeit-Budgetübersicht

Transparente Budgetsteuerung in allen Abteilungen

Unterschiedliche Plattformen, kein Gruppenstandard

Eine Plattform, 388 Lieferanten, >600 Bestellungen/Monat

Wann lohnt sich eine Plattformlösung?

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle, ob eine Einkaufssoftware auch in Ihrem Unternehmen einen ähnlichen Effekt haben könnte wie im Beispiel des Logistikdienstleisters. Genau diese Frage stellen sich viele Organisationen, die mit zunehmender Komplexität im indirekten Einkauf konfrontiert sind.

Die folgende Checkliste hilft dabei, einzuschätzen, ob die Einführung einer Plattformlösung für Sie sinnvoll ist.

Checkliste: Ist eine Plattform-Lösung sinnvoll?

Marktüberblick: Anbieter für digitale Einkaufsprozesse

Anbieter

Zielgruppe

Fokus

Stärken

Implementierungsaufwand

Hivebuy

Mittelstand (ab ca. 100 MA)

Bedarfserfassung, Budgetsteuerung

Schnell einführbar, intuitive UX, Echtzeit-Budgetprüfung

Niedrig

Coupa

Großunternehmen

End-to-End Procurement

Umfangreiche Suite inkl. Risk, Analytics, Sourcing

Hoch

Onventis

Mittelstand

Lieferantenmanagement, SRM

Modular erweiterbar, strategischer Einkauf

Mittel

Jaggaer

International

Globales Spend Management

Skalierbar, starke Analytik & Workflowsteuerung

Hoch

simple system

Mittelstand

Katalogbasierter Einkauf

Marktplatz-Modell, große Lieferantenbasis, geringe Einstiegshürde

Niedrig bis Mittel

Promitea

projektorientierte Unternehmen

Operative Beschaffung

Rollenbasierte Workflows, geeignet für Dienstleistungen

Mittel

Fazit: Steuerung beginnt nicht beim Rechnungseingang

Wer seine Einkaufsprozesse dezentral organisiert, braucht mehr als Kontrolle im Nachgang. Entscheidend ist ein durchgängiger, strukturierter Prozess – vom Bedarf über die Bestellung bis zur Buchung.

Denn: Gute Finanzsteuerung beginnt nicht beim Rechnungseingang – sondern beim Bedarf.

Über die Autorin: Bettina Fischer ist Gründerin und Geschäftsführerin von Hivebuy, einer Einkaufssoftware speziell für mittelständische Unternehmen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Implementierung von Einkaufslösungen im Mittelstands- und Konzernumfeld – unter anderem als Projektleiterin für gruppenweite Beschaffungsinitiativen. Ihr besonderer Fokus liegt auf der Verbindung operativer Prozesse mit finanzieller Steuerbarkeit.


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