Beispiel aus der Praxis

In einem Unternehmen steht die Entscheidung über die Einführung eines neuen Produkts an. Der verantwortliche Marketingmanager ist überzeugt, das Produkt wird die Umsatzziele erreichen. Schließlich habe er einen detaillierten Marketingplan erarbeitet und in den letzten Jahren 5-mal das Umsatzziel für neue Produkte geschafft. Der zuständige Controller fragt sich, ob die Entscheidung maßgeblich durch verzerrte Wahrnehmungen und durch Eigeninteressen des Marketingmanagers beeinflusst wird.

  • Erinnert sich der Manager weniger gut oder gerne an die 7 Neueinführungen, bei denen er das Umsatzziel verfehlt hat?
  • Überschätzt er in seinem Plan die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere umsatzfördernde Umstände gleichzeitig eintreten?
  • Zeigt er starken Optimismus, weil das karriereförderlich sein kann?
  • Verleiten ihn seine detaillierten Planungen zu einer Kontrollillusion?
  • Hat seine ganze Abteilung so viel in das Projekt investiert und so starke Emotionen dafür entwickelt, dass sie die Erfolgsaussichten zu unkritisch betrachtet?
  • Oder aber setzt der Marketingmanager die Umsatzziele immer eher niedrig an, um leichter Erfolge vorweisen zu können?

Die Liste der Fragen ließe sich fortsetzen. Sie demonstriert die Relevanz psychologischer Aspekte für betriebliche Entscheidungen, welche durch das Controlling unterstützt werden.

Verhaltensaspekte gewinnen an Bedeutung

Seit einigen Jahren wird Controlling stärker aus verhaltensorientierter Sicht thematisiert. So sehen manche Autoren den Zweck des Controllings in der Sicherung rationalen Verhaltens der Führung, und Hirsch definiert: "Controlling ist diejenige betriebswirtschaftliche Funktion im Unternehmenskontext, die Motivationsprobleme und kognitive Entscheidungsanomalien der Führung identifiziert und reduziert. Zur Identifikation, Erklärung und Bekämpfung dieser Rationalitätsdefizite des Managements bedienen sich typischerweise Controller problemadäquat der Erkenntnisse und Methoden der Psychologie, v. a. der experimentellen Forschung."[1] Eine solche Sichtweise mag die psychologische Komponente des Controllings überbetonen. Doch sie verdeutlicht, dass Controlling nicht rein technokratisch als Einsatz bestimmter Instrumente wie Kostenrechnung oder Monatsberichte etc. betrieben werden darf. Stets müssen bei diesem Einsatz Verhaltensaspekte berücksichtigt werden. Dabei sind sowohl Aspekte des Wollens (in obiger Definition: Motivationsprobleme) als auch des Könnens (in obiger Definition: kognitive Entscheidungsanomalien) der am Entscheidungsprozess beteiligten Controller und Manager relevant. Das einleitende Beispiel veranschaulicht einige Problemstellungen, die aus solchen Aspekten hervorgehen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die kognitiven Entscheidungsanomalien, im Folgenden als Bias bezeichnet. Er zielt darauf, Kenntnisse für den Umgang mit Bias im Controlling zu vermitteln.

Heuristiken und Bias

Bias können durch Heuristiken entstehen, die menschliche Entscheidungsprozesse grundlegend prägen. Unter Heuristiken sind im verhaltenswissenschaftlichen Sinne mentale Programme zu verstehen, die jedem Menschen eigen sind und deren Ablauf unbewusst stattfindet. Im Regelfall ermöglichen diese "Faustregeln", die sich vor allem am Erfahrungsschatz, an Stereotypen, an gegebenen Größen sowie an Vorlieben orientieren, schnelle und effiziente Entscheidungsprozesse, die im Alltag notwendig sind. Sie bedingen jedoch auch Wahrnehmungsverzerrungen und Beurteilungsfehler, also Bias und damit potenzielle Beeinträchtigungen der Rationalität sowie eine verringerte Entscheidungsqualität.

Bei Entscheidungen jeder Art möglich

Ein Bias lässt sich auch beschreiben als eine die Rationalität beeinträchtigende Tendenz zu einem bestimmten Ergebnis oder einer bestimmten Perspektive. Die Beeinträchtigung ist umso größer, je stärker diese Tendenz neutralen, unvoreingenommenen, objektiven Urteilen zuwiderläuft. Bias treten in systematischer Weise und grundsätzlich bei jeder Entscheidungssituation und jedem Menschen auf. Bezüglich des Ausmaßes von Bias zeigen sich jedoch situations- und personenabhängig große Unterschiede. Da die Unterstützung von betrieblichen Entscheidungen der Hauptzweck des Controllings ist, müssen Controller Bias gut verstehen. Dabei ist auch zu beachten, dass Bias – gerade weil sie beim Informationsempfänger unbewusst auftreten – durch Informationen sendende Menschen bewusst zu Manipulationszwecken genutzt werden können.

[1] Hirsch, 2007, S. 267.

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