Best Practice Controlling im Mittelstand

Erst Leiter Controlling, dann CFO, zuletzt CEO bei einem mittelständischen Global Player:  Der ICV-Vorsitzende Siegfried Gänßlen kennt die Maßstäbe für gutes Controlling wie kaum ein zweiter. In diesem Interview erläutert er, mit welchen Fragen die Controller die Qualität ihrer Arbeit überprüfen können.

Controlling-Instrumte selbst bewerten

Herr Gänßlen, Sie sind Vorstandsvorsitzender des Internationalen Controller-Vereins (ICV), der sich als DIE Austauschplattform für Controller versteht. Der ICV prämiert jedes Jahr herausragende Controlling-Lösungen. Was macht für Sie Best-Practice im Controlling aus?

Gänßlen: Lassen Sie mich vorab bemerken, dass der ICV diesen Controlling-Preis bereits seit 2003 verleiht. Wenn man die prämierten Best-Practice-Lösungen betrachtet, dann handelt es sich um neue Wege und Prozesse im Controlling: Es sind innovative Lösungen, die spürbare Veränderungen im Ansehen der Controller bzw. des Controllings in den Unternehmen bewirkt haben. 

Für mich persönlich müssen Best-Practice-Lösungen zu signifikanten Verbesserungen der Wertschöpfungskette eines Unternehmens beitragen. Innovationen im Controlling stehen bei mir an erster Stelle, da hier deutliche Ergebnisverbesserungen zu erzielen sind.  

Welche drei Fragen sollte sich ein Controller im Hinblick auf neue Controlling-Instrumente, Berichte etc. stellen?

Gänßlen: Die Controller müssen das Problem grundsätzlich verstehen, und anderen verständlich machen können, bevor sie darangehen, dieses mit Best Practices zu lösen.  

Die erste Frage, die sich also ein Controller stellen muss, ist daher: Passen diese Instrumente überhaupt zur Fragestellung und sind sie zu deren Lösung geeignet?

Zweite Frage ist: Tragen die Instrumente und Berichte zum Wachstum und zur Profitabilität bei?

Eine dritte Frage betrifft die Akzeptanz im Unternehmen: Werden die neuen Instrumente angenommen bzw. mit welchen Widerständen ist zu rechnen und wie signifikant sind diese?

Neue Aufgaben durch Fokussierung meistern

Die Controller-Funktion hat in den letzten Jahren eine stetige Erweiterung ihres Tätigkeitsfelds erfahren. Inzwischen wird von Controllern erwartet, dass sie die besseren Business Consultants sind, während sich am Tagesgeschäft meist nur wenig geändert hat. Besteht hier nicht die Gefahr einer Überforderung?

Gänßlen: Ich würde das anders sehen: Das Controlling und die Controller können sich in Zukunft noch stärker auf das Business Consulting konzentrieren, da sie sich bereits heute durch Shared Service Centers und Reporting Factories entlasten lassen können. Auch Self Reporting ist ja mittlerweile bei den Managern verbreitet und trägt zu einer Dezimierung der Arbeitslast der Controller bei.

Die digitale Transformation sorgt für Daten in Echtzeit und in einer Qualität, die bislang noch nicht vorhanden war. Damit können sich Controller stärker den Analysen, Lösungen und einem nach vorn gerichteten Controlling widmen.

Wer alles macht, macht nichts richtig. Best Practice ist nur möglich, wenn man 80 % der Projektideen streicht. Welche Bewertungsmaßstäbe sollten Controller hier anlegen?

Gänßlen: Um nicht in die Best-Practice-Falle zu tappen, muss jede Firma aus einer großen Menge von Best-Practice-Beispielen die für sie passenden selektieren. Andernfalls könnten sich erfolgreiche Modelle eines Unternehmens bei einem anderen als „Worst Practice“ entpuppen. Der Erfolg von Best-Practice-Modellen hängt auch von Größe und Geschäftsmodell der Benchmark-Unternehmen ab.

Innovationen schrittweise angehen statt bremsen

Bei vielen neuen Mega-Trends wie Digitalisierung oder Mobile können Controller die Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle nur schwer einschätzen. Meiner Meinung nach führt das dazu, dass sie Innovationen dann eher bremsen und an alten bekannten Business Cases festhalten – solange bis diese wegfallen. Wie können sie diese Gefahr bannen und zum konstruktiven Business Partner werden?

Gänßlen: Mittlerweile ist ja akzeptiert, dass Innovation einer der wichtigsten Werttreiber innerhalb der Geschäftsmodelle der Unternehmen ist. Jetzt könnte man die vorher genannten 80% aufgreifen: Die digitale Transformation fordert von den Controllern nicht jeden Business Case auf 100% durchzurechnen, sondern auch schon mal bei 80% „los zu rennen“.

Sehr gute Beispiele dafür liefert ja das Silicon Valley: Das Valley bringt Prototypen auf den Markt, und macht Kunden zu Mit-Entwickler, die Verbesserungen und Weiterentwicklung beeinflussen. Warum sollen sich nicht auch Controller dieser Vorgehensweise bedienen?  

Herr Gänßlen, was würden Sie Controllern mit auf den Weg geben, die auf der Suche nach Best-Practice-Lösungen sind?

Gänßlen: Nicht jede Best Practice lässt sich von einem Unternehmen auf ein ganz anderes übertragen: eine kritische Auswahl ist notwendig. Der Controller muss bei der Auswahl von Best Practices darauf achten, aus welcher Branche sie stammen, welches Geschäftsmodell verfolgt wird und wie das unternehmensspezifische Umfeld gestaltet ist.

Das Interview führte Prof. Dr. Andreas Klein, Professor für Controlling & International Accounting an der SRH Hochschule Heidelberg und Mitherausgeber des „Controlling-Beraters“.