Umweltkatastrophen durch giftige Industrie-Abfallstoffe

Verseuchte Erde, verpestete Luft, erhöhte Krebsraten - die Zahl der Umweltkatastrophen mit verheerenden Folgen, die durch Missachtung der Gesetze weltweit durch Wirtschaftsunternehmen verschuldet werden, ist ebenso gigantisch wie deren enorm langen Wirkungszeiträume.

Aktuell macht gerade die giftige Schlammlawine in Brasilien Schlagzeilen, die eine ganze Region zerstört und vielen Menschen dort die Lebensgrundlage entzogen hat.

Bergbaugigant „BHP Billiton“ versenkt ein Dorf

Der Bergbaugigant „BHP Billiton“ trägt die Verantwortung dafür, dass im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais am 5.11.2015 der Damm des Rückhaltebeckens eines Eisenbergwerks gebrochen ist.

  • 60 Millionen m³ Schlamm sind zu Tal gestürzt und haben ein ganzes Dorf unter sich begraben.
  • Die 800 km vom Unglücksort entfernte Mündung des Rio Doce wurde komplett mit Schlamm verseucht,
  • Tausende Tiere, darunter viele Nutztiere, die dem Lebensunterhalt vieler Familien dienten, hat die Schlammwelle mit sich gerissen,
  • an die 10.000 ha Land sind überflutet von Schlamm und auf Jahre nicht mehr nutzbar.

Die Zahl der toten Fische ist nicht mehr feststellbar, man schätzt die Masse auf 11 t.

Der Konzern spielt die Verantwortung herunter

Wie reagiert das Unternehmen? Der Bergbaukonzern hat seine Bereitschaft zur Hilfe erklärt. Der Konzern bestreitet aber, dass der Schlamm giftig ist. Die von Umweltverbänden in enormer Höhe im Fluss gemessenen Konzentrationen an Blei, Arsen und Chrom erklärt der Konzern damit, dass diese im Fluss bereits vorher vorhandenen Stoffe durch den Schlick aufgespült worden seien.

  • Die Zahl der toten Fische erkläre sich nicht aus einer Vergiftung des Flusses sondern daraus, dass die Schlammlawine den Fischen den Sauerstoff genommen habe.
  • Der Konzern spielt seine Verantwortung herunter und betont gleichzeitig, für die Folgen aufkommen zu wollen.
  • Obdachlos gewordene Landbewohner würden umgesiedelt, ihnen würden Häuser zur Verfügung gestellt.
  • Auf Entschädigungssummen wollte der Konzern sich bisher nicht festlegen.

Der brasilianische Staat fordert 5 Milliarden Dollar, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Auch Europa hat eine Geschichte der Chemieunfälle

Katastrophen dieses Ausmaßes, die von einem Unternehmen verschuldet wurden, hat es in Deutschland und Europa längere Zeit nicht mehr gegeben. In böser Erinnerung sind aber Vielen noch

  • die Chemiekatastrophe im italienischen Seveso 1976, bei der große Mengen an Krebs erregenden Dioxinen freigesetzt wurden,
  • der Chemieunfall bei „Kraft Foods“ im niedersächsischen Bad Fallingbostel am 16.10.2012, bei dem Mitarbeiter des Unternehmens aus Versehen Säure mit Lauge gemischt hatten
  • oder die Explosion im Marler Chemiepark im März 2012, die zwei Menschen das Leben gekostet hat. 

Der Dioxinskandal von Boehringer Ingelheim

Wie gehen Unternehmen in Deutschland mit solchen Katastrophen um, sind sie bereit, für die Folgen einzustehen, entschädigen sie die Opfer?

Ein Beispiel zur Beantwortung dieser Frage gibt der Dioxin-Skandal des Chemiekonzerns Boehringer Ingelheim im Hamburger Stadtteil Moorfleet. Das Werk in Hamburg stellte seit dem Jahr 1951 Pflanzenschutzmittel her, insbesondere das Insektizid Lindan. Aus deren Abfällen produzierte das Unternehmen dann die so genannte T- Säure, bei deren Produktion als Abfallstoff das besonders giftige Dioxin „TCDD“ anfällt.

Berühmt-berüchtig  wurde dieses Gift als Bestandteil des Entlaubungsmittels  „Agent Orange“ im Vietnamkrieg.

Immer wieder erkrankten Arbeiter bei Boehringer Ingelheim an der so genannten Chlorakne. Verschiedene giftige Abfallstoffe wurden wiederholt in den Mülldeponien gefunden, die von Boehringer Ingelheim genutzt wurden. Der Chemikaliencocktail erhielt schließlich den Namen Boehringer-spezifische Schadstoffe (BSS). Im Juni 1984 schließlich musste das Werk in Moorfleet geschlossen werden.

Ein Skandal von gestern mit enormen Wirkungen bis heute

Die Giftstoffe sind bis heute nicht entsorgt. Das Erdreich im Boehringer Moorfleet ist metertief verseucht. Die Giftstoffe wurden sogar in der Milch von Kühen nachgewiesen, die in der Nähe weideten. Noch heute erkranken ehemalige Mitarbeiter von Boehringer Ingelheim an Krebs, der zumindest zum Teil auf Dioxineinlagerungen zurückzuführen ist. 

35 % der ca. 1.600 ehemaligen Mitarbeiter sind bis heute verstorben, die Krebsrate liegt signifikant über dem Durchschnitt der Normalbevölkerung, das Durchschnittsalter der Verstorbenen ist zur vergleichbaren Normalgruppe deutlich niedriger.

Bis heute keine durchgreifende Säuberung des Erdreichs

Boehringer gelobte immer wieder Hilfe sowohl bei der Sanierung der Umwelt als auch bei der Versorgung der Betriebsangehörigen. Eine von dem Unternehmen entwickelte Hochtemperaturverbrennungsanlage, die den kontaminierten Boden verbrennen sollte, hat allerdings versagt, weil die Anlage von den im Erdreich eingelagerten aggressiven Chemikalien zerstört wurde. Unter dem Motto „Sichern statt Sanieren“ wurde das Werksgelände dann mit einem riesigen Betonsarg umschlossen, 50 m tief. Eine dicke Asphaltdecke hält Regenwasser davon ab, die giftigen Stoffe aus dem Boden auszulösen. Pumpen befördern rund um die Uhr verseuchtes Grundwasser in eine Abwasserreinigungsanlage.

Sanierung bis zum Jahr 2054 versprochen

In einem im Dezember 2013 geschlossenen Vertrag hat das Unternehmen Boehringer Ingelheim sich nunmehr gegenüber der Stadt Hamburg verpflichtet,

  • das Grundwasser zu reinigen ,
  • zwei 20 m tiefe Brunnen zu bohren, um den Schadstoffabbau zu beschleunigen,
  • die gesamte Schadstoffmenge aus dem Grundwasser mit einer Wasseraufbereitungsanlage zu entfernen.

Kostenpunkt für das Unternehmen: Schmale 6,2 Million Euro.

Geplante Beendigung der Maßnahme: 2054.

Und was ist mit den kranken oder toten Mitarbeitern?

Auch hier gelobte der Konzern großzügige Entschädigung. Erhalten haben eine freiwillige Entschädigung bisher 215 Mitarbeiter. Eine vom Unternehmen getragene Beratungsstelle steht darüber hinaus den Mitarbeitern zur Beratung im Krankheitsfall zur Verfügung.

Anerkannt als Berufskrankheit werden ihre Gebrechen aber nur dann, wenn der Kausalzusammenhang zwischen der Mitarbeit im Unternehmen und der anschließenden Erkrankung von der Berufsgenossenschaft als erwiesen angesehen wird. Der Anerkennungsprozess dauert häufig Jahre, während der viele Mitarbeiter versterben.

Zwischen Dioxinen und einer Krebserkrankung oder Nervenschädigung auch als Spätfolge wird zwar von Medizinern ein Kausalzusammenhang für wahrscheinlich gehalten, aber das ist noch kein Beweis im Einzelfall.

Unternehmensethik dient vor allem der Außendarstellung

Im Ergebnis bewegt sich das Verhalten des deutschen Unternehmens zwischen Beschwichtigung und in Einzelfällen auch tatsächlicher Hilfe. Das ist nur ein schwacher Trost für die, denen nicht geholfen wird. Das Ergebnis erinnert fatal an das aktuelle Verhalten von BHP Billiton in Brasilien.

Schon zur Wahrung ihres Rufs versprechen Unternehmen in solchen Situationen größtmögliche Hilfe und spielen gleichzeitig ihre Verantwortung herunter. Einigen (wenigen) wird dann auch geholfen, der andere Teil aber geht leer aus. Auch dies ist ein Beispiel für eine eher oberflächliche Unternehmensethik, die mehr an einer möglichst sauberen Außendarstellung denn an substantieller Übernahme von Verantwortlichkeit und Hilfe für die Betroffenen interessiert ist.

Vgl. zu dem Thema auch:

Abfallentsorgung und Compliance


Eine Liste anderer schwerer Chemieunfälle

  • September 1921 - Nach einer Explosion in einem Ammoniak-Werk der BASF bei Ludwigshafen sterben 585 Menschen.
  • Juli 1948 - Explosion in der Nitrolack-Fabrik der BASF in Ludwigshafen: 200 Tote, 3.800 Verletzte.
  • Juli 1976 - Dioxin-Alarm in einer Tochterfirma des Schweizer Chemiekonzerns Hoffmann-La Roche: Hunderte Bewohner von Seveso bei Mailand werden in Sicherheit gebracht, viele schwer vergiftet.
  • November 1979 - Ein mit Chemikalien beladener Güterzug entgleist und explodiert bei Toronto. 250.000 Menschen fliehen vor giftigen Gasen, verletzt wird niemand.
  • November 1986 - Nach einem Feuer im Baseler Werk der Firma Sandoz fließt Gift in den Rhein; hunderttausende Fische verenden.
  • September 2001 - Explosion in einer Düngemittel-Fabrik bei Toulouse: 31 Tote, 2.500 Verletzte.
  • Oktober 2010 - Umweltdesaster in Ungarn: Giftiger Bauxitschlamm aus einer Aluminiumhütte überschwemmt mehrere Dörfer. Mindestens 9 Tote, rund 150 Verletzte (dpa).