Zulassungsverlängerung für Unkrautvernichter Glyphosat

Nach anfänglichem Patt hat die EU eine Verlängerung der Zulassung für das umstrittene Herbizid Glyphosat beschlossen. Dabei hat der deutsche Agrarminister, trotz des "Nein" der Umweltministerin, das nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung eine Enthaltung bewirkt hätte, für Deutschland zugestimmt. Nun gibt es im Bundesrat und in einer massiven Unterschriftenaktion Forderungen nach einem nationalen Verbot.

Für die einen ist es ein unsichtbares, vielleicht krebserregendes Gift, das überall lauert und nicht nur unsere, sondern auch die Gesundheit nachfolgender Generationen schädigt, andere loben den Unkrautvernichter Glyphosat als unentbehrlichen Schutz vor Hunger und Missernten.

Nach EU-Patt Zulassungs-Verlängerung für den Unkrautvernichter

Der Streit über die weitere Zulassung ging quer durch die EU und ihre Mitgliedsländer. Nun wurde die Zulassung der Verlängerung für 5 Jahre mit den Stimmen von 18 von 28 EU-Mitgliedsstaaten beschlossen.

Möglich wurde der Beschluss am 27.11. auch deshalb, weil Deutschland, das sich bisher enthalten hatte, nunmehr überraschend für die Zulassungs-Verlängerung  stimmte.

Agrarrat raufte sich zusammen

Der Agrarrat, also die Expertenkommission der EU-Länder, hat sich nach seinem kürzlichen Unentschieden offensichtlich schweren Herzens auf die weitere Zulassung des Unkrautvernichtersgeeinigt.

  • Die EU-Kommission strebte ursprünglich eine Verlängerung der Zulassung um zehn Jahre an.
  • Damit ist sie jedoch am heftigen Widerstand einzelner Mitgliedsländer – wie z.B. Italien - gescheitert.
  • Der Kompromissvorschlag sah eine Verlängerung um fünf Jahre vor. Einige Mitgliedsländer wie Frankreich und Italien schlugen eine Verlängerung um drei Jahre vor,
  • andere verweigerten sich einer Verlängerung komplett.

So endete ein monatelanges Patt der EU-Staaten, bei dem weder eine Mehrheit für noch gegen Glyphosat zustande kam, weil der Entscheid mit einer qualifizierten Mehrheit gefällt werden muss, damit er gültig ist.

Umschwung u.a. bei Deutschland und Frankreich

Bei der jetzigen Abstimmung über eine 5-jährige Verlängerung hat neben Deutschland auch Frankreich seinen Standpunkt geändert und nicht mehr mit Nein gestimmt. Der französische Präsident Macron twitterte zu seinem Umschwung von Nein auf Ja, der Einsatz des umstrittenen Mittels werde untersagt, sobald es eine Alternative gebe – spätestens aber in drei Jahren.

Glyphosat-Lizenz war in der Bundesregierung umstritten

Auch Deutschland war uneins und die Verlängerung der Lizenz war in der Bundesregierung heftig umstritten. Hier ging die Entscheidung für ein Ja aber nicht von der Kanzlerin aus, sondern - offensichtlich ohne Absprache - vom CSU-Landwirtschaftsminister..

  • Während Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) eine weitere Zulassung komplett ablehnt,
  • befürwortet Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) das Landwirtschaftsministerium eine langfristige Zulassung.

Bei dieser Meinungsverschiedenheiten betroffener Ministerien schreibt die Geschäftsordnung der Bundesregierung eine Stimmenthaltung im zuständigen EU-Ausschuss vor.

Die aktuell gültige "Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien" von 2011 besagt, dass das federführende Bundesministerium bei Meinungsverschiedenheiten keine allgemein bindenden Entscheidungen treffen darf, die das Einvernehmen anderer Bundesministerien voraussetzen.  Über diese Regel hat sich der Landwirtschaftsminister bei der Abstimmung am 28.11. hinweggesetzt und im Alleingang zugestimmt.

Es wurde erwartet, dass Deutschland sich auch künftig wegen der Kontroverse innerhalb der Regierung, aber auch wegen der zur Zeit laufenden Sondierungsgespräche zur Bildung einer Koalitionsregierung der Stimme enthalten wird. Grüne, SPD und FDP sind darüber mehr als erstaunt. Die Bundeskanzlerin hat ihren Landwirtschaftsminister für seine Zustimmung  gerügt. Der Umweltministerin genügt das als vertrauensbildende Maßnahme nicht.

Unterschriftenaktion für ein nationales Verbot

Umweltschützer und Umweltverbände sammelten mittlerweile 520.000 Unterschriften für ein nationales Verbot von Glyphosat. Auch den Bundesrat beschäftigt das nationalen Glyphosat-Verbot. Die Länderkammer überwies Anträge der Bundesländer Thüringens und des Saarland in die zuständigen Ausschüsse, die  ein Verbot für Grünanlagen, öffentliche Verkehrsflächen und Einrichtungen wie Kitas fordern.

Wirtschaftliche Argumente sprechen für Glyphosat

Bei der Zulassung spielen nicht zuletzt gewichtige wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Der Unkrautvernichter wurde von dem amerikanischen Konzern Monsanto entwickelt, den der deutsche Chemieriese Bayer übernehmen will. Glyphosathaltige Mittel werden aber auch von vielen weiteren Herstellern vertrieben, seit im Jahr 2000 der Patentschutz für den Unkrautvernichter abgelaufen ist. Auch aus Sicht der Agrarwirtschaft sprechen gewichtige wirtschaftliche Argumente für das äußerst preiswerte Herbizid.

Wissenschaftler sind sich in der Risikobewertung uneinig

Der wissenschaftliche Streit dreht sich im wesentlichen um die Frage, ob das Herbizid krebserregend ist.

  • Im Jahr 2015 hat die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ qualifiziert,
  • während das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR den Unkrautvernichter kurz zuvor als unbedenklich eingestuft hat.
  • Die europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (efsa) und die europäische Chemieagentur (echa) haben sich der Bewertung der BfR angeschlossen.

Kinderärzte befürchten durch den Kontakt, insbesondere von Schwangeren, mit Pestiziden Geburtsfehler, Diabetes und Krebs. Der toxische Gehalt dieser Chemikalien könne im Kindesalter irreversible Gesundheitsschäden hervorrufen. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um Beobachtungen und um Erfahrungswerte ohne nachprüfbaren wissenschaftlichen Beweis.

Wo Glyphosat hinkommt, wächst buchstäblich kein Gras mehr

Bei Glyphosat handelt es sich um ein sogenanntes Total-Herbizid, d.h. es wirkt auf sämtliche Grünpflanzen. Seine Wirkung erreicht es durch die Blockade eines Enzyms, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren benötigen.

  • Der wasserlösliche Wirkstoff wird über die Blätter aufgenommen und gelangt von dort in die gesamte Pflanze bis zur Wurzel.
  • Dies hat einerseits den Vorteil eines vergleichsweise breitbandigen Wirkspektrums, andererseits werden damit sämtliche Kräuter und Gräser auf Ackerflächen vollständig vernichtet.
  • Nach Angaben des Umweltbundesamtes wird hierdurch die Vielfalt der Pflanzen auf Agrarflächen erheblich und nachhaltig reduziert.
  • Insekten und Feldvögeln würde hierzu hierdurch großflächig die Lebensgrundlage entzogen.

Kritiker verweisen auf den offensichtlichen Schwund Vögeln und UIInsekten in den letzten Jahren.

Glyphosat ist fast überall

Glyphosat ist weltweit das meist verwandte Herbizid. Das Marktforschungsunternehmen „Kleffmann Group“ hat im Juli diesen Jahres errechnet, dass Glyphosat weltweit auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche von ca. 400 Millionen Hektar zum Einsatz kommt. In der EU wirkt es auf einer Fläche von 178 Millionen Hektar. Die extreme Verbreitung ist nicht zuletzt auch auf den niedrigen Preis des Herbizids zurückzuführen.

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Auch Biertrinker sind von dem Herbizid betroffen

Glyphosat kann bereits in vielen Lebensmitteln, wie zum Beispiel Milch, Hülsenfrüchten, Getreide und Bier nachgewiesen werden.

Der menschliche Körper scheidet den Unkrautvernichteter relativ schnell wieder aus. Konkrete Gesundheitsschäden konnten bei  den bisher festgestellten Konzentrationen nicht nachgewiesen werden.

Starke Wachstumsmärkte außerhalb Europas

Aussichtsreiche Wachstumsmärkte für Glyphosat sehen die Hersteller in Nord- und Südamerika und mittelfristig auch im asiatischen Raum. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass Pflanzen wie Soja und Mais durch gentechnische Veränderungen eine Resistenz gegen Glyphosat eingeimpft werden kann.

Kommissionspräsident forderte von den Mitgliedstaaten Courage

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte nach dem Patt Feigheit einzelner Mitgliedstaaten unterstellt, die eine unpopuläre, für die Landwirtschaft aber lebensnotwendige Entscheidung scheuten. Es war klar gewesen, dass Deutschland und Frankreich bei der Entscheidung eine entscheidende Rolle spielen könnten.

  • Es hatten sich 14 von 28 Mitgliedsländern für eine Verlängerung der Lizenz um fünf Jahre ausgesprochen, fünf enthielten sich (darunter Deutschland) neun stimmten dagegen (darunter Frankreich und Italien).
  • Indem sich Deutschland und Frankreich den Befürwortern anschlossen, war die notwendige Mehrheit von 16 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, erreicht.

Ohne Übergangsfrist wäre Ausstieg nicht möglich

Experten warnten bereits vor unlösbaren Herausforderungen für die Landwirtschaft und vor bereits jetzt am Markt angebotenen Alternativen, die noch weit schädlicher für Mensch und Umwelt seien.

Ohne eine Übergangszeit wird ein Ausstieg wohl praktisch nicht umsetzbar sein.

Reaktionen auf die Verlängerung

Die SPD ist von dem Alleingang unter Umgehung des Umweltministeriums empört, die Grünen verlangen Rücktritt des Ministers,. jenseits der deutschen Parteipolitik kommt von der Konsumentenschutzorganisation Foodwatch Kritik an dem EU-Beschluss.

«Wirtschaftliche Interessen erhalten Vorrang vor dem Gesundheitsschutz und vor ökologischen Belangen»,

so Geschäftsführer Martin Rücker.

Greenpeace verlautbart:

«Die Leute, die uns vor gefährlichen Pflanzenschutzmitteln schützen sollen, haben ihren Job nicht erledigt und das Vertrauen missbraucht, das ihnen die Europäer entgegenbrachten.»

Der deutsche Industrieverband Agrar ist dagegen enttäuscht darüber, dass sie nur fünf Jahre gelten soll. Für ihn wäre eine Verlängerung von 15 Jahren angemessen gewesen.

Der österreichische Nationalrat hatte im Oktober seinen Landwirtschaftsminister an ein klares Nein Österreichs zu Glyphosat gebunden. Nachdem die EU-Staaten für eine Zulassung von Glyphosat stimmten, tritt die SPÖ nun für ein Verbot auf nationaler Ebene ein und will eine Gesetzesvorlage einreichen.

Zu kurz: Hersteller sind tief enttäuscht

Der US-Agrarkonzern Monsanto und weitere Produzenten sind nicht etwa zufrieden, sondern "tief enttäuscht" über die aus ihrer Sicht zu kurze Verlängerung der Zulassung des  Unkrautvernichters. 

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Hintergrund:

Ein Ausstieg könnte zu ungeahnten Kosten für die EU führen. Führende Glyphosat-Hersteller wie Monsanto hatten für diesen Fall bereits Schadensersatzforderungen gegen die EU angekündigt. Experten schätzen den jährlichen Umsatz von Glyphosat auf eine Größenordnung von 1 Milliarde Euro. Schadensersatzforderungen wegen  eintretender Umsatzausfälle könnten ein Vielfaches hiervon betragen.

Ob die Unternehmen aber überhaupt einen rechtlichen Anspruch auf Verlängerung der Lizenz haben ist umstritten.

Schlagworte zum Thema:  EU-Kommission, Land- und Forstwirtschaft