Keine Vergabesperre bei nur schwachem Interessenkonflikt

Öffentliche Auftragsgeber dürfen eine Vergabesperre nicht verhängen, wenn es mildere Mittel als einen Totalausschluss vom Vergabeverfahren gibt, um mögliche Interessenkonflikt auszuräumen. In diesem Fall wäre die Vergabesperre unverhältnismäßig und ein unzulässiger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Kläger des vom BGH entschiedenen Rechtsstreits war ein eingetragener Umweltverein mit ca. 180 Mitarbeitern. Der Verein führt ökologische Studien durch und erstellt wissenschaftliche Gutachten in den Bereichen Energie und Klimaschutz, Produkte und Stoffströme, Ressourcen und Mobilität, Umweltrecht und Governance sowie Nukleartechnik und Anlagensicherheit.

Senatorin ist Ehefrau eines Mitarbeiters des Umweltvereins

Verklagt hatte der Umweltverein die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des Landes Berlin, die regelmäßig Aufträge für Forschungsvorhaben und Gutachten auf den Tätigkeitsfeldern des Vereins vergibt.

Die Senatsverwaltung hatte in der Vergangenheit bereits Aufträge im Wert von jeweils bis zu 100.000 Euro an den Umweltverein vergeben. Die der Senatsverwaltung seit Dezember 2016 vorstehende Senatorin ist mit dem in dem Verein tätigen Forschungskoordinator des Fachbereichs Energie und Klimaschutz verheiratet. Ein Direktionsrecht oder Personalverantwortung hat der Ehemann der Senatorin in dem Umweltverein nicht.

Umweltverein wird von Vergabeverfahren ausgeschlossen

Im Januar 2017 teilte der Staatssekretär der betreffenden Senatsverwaltung den dortigen Abteilungsleitern mit, dass zur Vermeidung eines möglichen Interessenkonflikts und zur Vermeidung jeden bösen Scheins der klagende Verein zukünftig nicht mehr beauftragt werden soll. Mögliche Angebote von ihm seien als ungeeignet auszuschließen.

Umweltverein fordert Teilnahme an Vergabeverfahren

Mit seiner Klage fordert der Verein die Verurteilung der Senatsverwaltung zur Aufhebung der verhängten Vergabesperre und beantragt, das Land Berlin zu verpflichten, ihn bei künftigen Aufträgen nach denselben Grundsätzen wie jeden anderen Bieter zu berücksichtigen.

BGH bewertet Vergabesperre als rechtswidrig

Nachdem das LG der Klage stattgegeben und das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat, hatte die Revision des Klägers beim BGH Erfolg. Der BGH gestand dem Kläger einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Vergabesperre bewertete der BGH als unzulässigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers.

Interne Weisung als unmittelbarer Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

Nach der Rechtsprechung des BGH umfasst der Schutzbereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gemäß Art. 14 GG auch die Tätigkeit von Vereinen, die am Wirtschaftsleben teilnehmen (BGH, Urteil v. 15.5.2012, VI ZR 117/11). In dieses Recht greift die interne Weisung des Staatssekretärs nach Auffassung des BGH unmittelbar ein, denn sie verhindere jede Form der Geschäftstätigkeit des Vereins mit der Senatsverwaltung.

In der Vergangenheit habe die Anwendung der Vergabesperre bereits zum Ausschluss des Klägers von diversen Vergabeverfahren geführt, so dass die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ohne weiteres zu bejahen sei.

Beide Seiten haben klar definierte Interessen

Der mittels interner Weisung erfolgte Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nach der Wertung des BGH auch rechtswidrig. Die von der Beklagten angeführten Gründe rechtfertigen nach Auffassung des BGH einen generellen Ausschluss des Klägers von der Vergabe öffentlicher Aufträge für die Dauer der Amtszeit der Senatorin nicht.

Für die Beurteilung sei eine Abwägung der Interessen des Klägers und der Senatsverwaltung erforderlich. Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse, durch Aufträge der Senatsverwaltung seine wirtschaftliche Grundlage zu sichern und gleichzeitig seinen wissenschaftlichen Ruf zu fördern, der weitere Aufträge nach sich ziehen könne. Demgegenüber stehe das Interesse der Beklagten, durch eine Vergabesperre bereits den bösen Schein eines Interessenkonflikts zu vermeiden.

Interessenkonflikt bei Ehegatten nicht von der Hand zu weisen

Die Abwägung fällt nach der Bewertung des BGH eindeutig zugunsten der wirtschaftlichen Interessen des Klägers aus. Dies folge aus § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB i.V.m. § 42 Abs. 1 VgV. Hiernach sei im Fall eines konkreten Vergabeverfahrens ein Ausschluss eines Anbieters bei Vorliegen eines Interessenkonfliktes im Sinne des § 6 Abs. 2 VgV grundsätzlich möglich.

Ein Interessenkonflikt liege gemäß § 6 Abs. 2 VgV dann vor, wenn Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang des Vergabeverfahrens haben, ein direktes oder indirektes finanzielles wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte. Bei Ehegatten sei ein solches persönliches Interesse in der Regel anzunehmen.

Senatorin kann Bearbeitung von Vergabeverfahren an Staatssekretäre abgeben

§ 6 Abs. 1 VgV ordne für den Fall eines Interessenkonfliktes ein Mitwirkungsverbot an Entscheidungen oder Maßnahmen des Organmitglieds oder Mitarbeiters des öffentlichen Auftraggebers an, bei dem der Interessenkonflikt besteht. Im Sinne dieser Vorschrift sei auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher immer zu prüfen, ob Organe oder Mitarbeiter, bei denen der Interessenkonflikt besteht, von der weiteren Befassung mit solchen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können.

Eine solche Lösung stelle ein milderes Mittel als ein Totalausschluss von Vergabeverfahren dar und trage daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Nach Auffassung des BGH liegt es nahe, dass die betreffende Senatorin die Behandlung von Vergabeverfahren, bei denen ein Interessenkonflikt bestehen kann, auf ihre Staatssekretäre überträgt. Auf diese Weise werde dem Interesse der Senatsverwaltung an auch nach dem äußeren Eindruck unparteiischen Vergabeverfahren hinreichend Rechnung getragen.

Interessenkonflikt nur schwach ausgeprägt

Im konkreten Fall sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der Interessenkonflikt von vornherein nur schwach ausgeprägt ist, da dem Ehemann der Senatorin beim Kläger weder ein Direktionsrecht zusteht noch eine Personalverantwortung obliegt. Seine wissenschaftliche Betätigung liege im übrigen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Senatsverwaltung.

Revision im Ergebnis erfolgreich

Im Ergebnis hat der BGH damit der Revision stattgegeben. Da der Senat die Sache für entscheidungsreif hielt, hat er das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen. Damit ist das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig geworden.

(BGH, Urteil v. 3.6.2020, XIII ZR 22/19).

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Öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB müssen Eintragungen zu dem Unternehmen abfragen, das den Zuschlag erhalten soll, soweit der Auftragswert netto 30.000,00 € erreicht. Sektorenauftraggeber (§ 100 GWB) und Konzessionsgeber (§ 101 GWB) müssen eine entsprechende Abfrage stellen, bevor sie Aufträge oberhalb der sogenannten Schwellenwerte vergeben. Zu sonstigen Aufträgen steht den Auftraggebern eine Abfrage frei. Welche Konsequenzen die Auftraggeber aus den Eintragungen ziehen, ist nicht im Wettbewerbsregistergesetz geregelt, sondern ergibt sich aus dem Vergaberecht. In der Regel wird ein Eintrag zum Ausschluss des Unternehmens aus dem Vergabeverfahren führen.

Schlagworte zum Thema:  Compliance, Gewerbebetrieb