Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer laut GG beschäftigen

Auch wenn es selten eingeklagt wird: Aus dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung ergibt sich im laufenden Arbeitsverhältnis ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Beschäftigung. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich daher nicht nur eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung, sondern auch ein entsprechendes Recht, das der Arbeitgeber zu erfüllen hat. Ein "Zwang zum Nichtstun" würde die Würde des Arbeitnehmers beeinträchtigen.

Neben dem gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch bei einer Kündigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG gibt es den sogenannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch. Dieser beruht auf richterlicher Rechtsfortbildung.

Ideellen Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers

Der Große Senat des BAG maß mit einem grundlegenden Beschluss (BAG Beschluss v. 27.02.1985 , GS 1/84) dem ideellen Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers einen verfassungsrechtlichen Rang bei.

  • Angesichts der in Art. 1 GG und Art. 2 GG getroffenen Wertentscheidungen sah er in deren Nichtberücksichtigung im Dienstvertragsrecht des BGB eine Regelungslücke.
  • Diese schloss er im Wege ergänzender richterlicher Rechtsfortbildung durch Anerkennung des (Weiter-)Beschäftigungsanspruchs.
  • Rechtsgrundlage sind § 611 BGB, § 242 BGB, Art. 1 GG und Art. 2 GG.

Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis

  Erst nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes hat die Rechtsprechung einen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis allgemein anerkannt. 

  • Das Arbeitsverhältnis sei ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, das nicht nur wie beim Dienstvertrag der selbständig Tätigen oder bei sonstigen Schuldverhältnissen lediglich einzelne bestimmte Leistungen betreffe,
  • sondern für seinen Geltungsbereich die ganze Person des Arbeitnehmers erfasse, deshalb wesentlich sein Leben gestalte und seine Persönlichkeit bestimme.
  • Die Achtung und Anerkennung des Arbeitnehmers als Mensch beruhe auch nicht nur auf dem wirtschaftlichen Wert seiner Leistung, sondern weitgehend darauf, wie er die ihm obliegenden Aufgaben erfülle.
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  • Gerade das gebe ihm im Bereich des Arbeitslebens maßgeblich seine Würde als Mensch. Deshalb müsse der Arbeitgeber nicht bloß aufgrund seiner Treupflicht, sondern vor allem auch aufgrund der jedermann aus Art. 1 und Art. 2 GG obliegenden Verpflichtung alles unterlassen, was die Würde des Arbeitnehmers und die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen kann.
  • Eine solche Beeinträchtigung beider Grundrechtspositionen bedeute es aber, wenn einem Arbeitnehmer zugemutet werde, nicht nur vorübergehend, sondern u. U. jahrelang sein Gehalt in Empfang zu nehmen, ohne sich in seinem bisherigen Beruf betätigen zu können.
  • Das würde auf einen Zwang zum Nichtstun hinauslaufen und den betreffenden Arbeitnehmer nicht mehr als vollwertiges Glied der Berufsgemeinschaft und der Gesellschaft überhaupt erscheinen lassen.

Interessenabwägung

Ob im Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers, den gekündigten Arbeitnehmer nicht wieder im Betrieb zu haben, oder die Interessen des Arbeitnehmers, während des monate- oder jahrelangen Kündigungsrechtsstreits den Bezug zu seiner Arbeit und den Kontakt zu seiner Arbeitsstelle nicht zu verlieren, überwiegen, ist Frage einer Interessenabwägung.

Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer berechtigt von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, entfällt der Beschäftigungsanspruch.

Weiterbeschäftigungsanspruchs im Kündigungsverfahren

Hat ein Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben, ist nach Ablauf der Kündigungsfrist fraglich, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahren weiter zu beschäftigen.

Ein entsprechender „allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch“ wird angenommen, wenn ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an seiner tatsächlichen Beschäftigung höher zu bewerten ist, als das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung.

Wann überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers?

Ein solches überwiegendes Interesse wird regelmäßig in folgenden Fällen bejaht:

Sofern noch kein stattgebendes erstinstanzliches Urteil vorliegt, wenn

  • die Kündigung offensichtlich unwirksam ist, z. B. bei fehlender vorheriger Anhörung des Betriebsrates oder Einschaltung des Integrationsamtes, oder
  • ein besonderes Interesse des Arbeitnehmers an seiner tatsächlichen Beschäftigung vorliegt, z. B. wenn durch die Nichtbeschäftigung die Erhaltung oder Erlangung einer beruflichen Qualifikation ernstlich gefährdet ist.

Liegt bereits ein (erstinstanzliches) Urteil vor, besteht ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an seiner tatsächlichen Beschäftigung naturgemäß dann, wenn er den Kündigungsrechtsstreit gewonnen hat.

Betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch

Neben dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch kann ein betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG gegeben sein, wenn ein zuständiger Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat.

Schlagworte zum Thema:  BAG-Urteil, Arbeitgeber, Arbeitnehmer