Compliance erfordert auch verbesserten Kinderschutz

In seinem christlichen Ursprung ist das Weihnachtsfest ein Fest der Familie. Das Kind in der Krippe hat es nicht komfortabel, ist aber umgeben von liebenden Eltern und bewacht von Hirten. Doch wie geht es Kindern in der aktuellen Realität? Halten Eltern die Regeln einer verantwortungsbewussten Zuwendung ein? Wo das nicht der Fall ist, wird es hinlänglich beobachtet und eingegriffen?

Ein Blick in die Presseberichterstattung zerstört jede idyllische Vorstellung vom realen Zusammenhalt in Familien. Im Jahr 2006 wurde das Kleinkind Kevin in Bremen tot im Kühlschrank seines Vaters aufgefunden. Am 18.12.2013 wurde die dreijährige Yagmur von ihrer Mutter totgeschlagen. Das LG Hamburg verurteilte jetzt die Mutter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und den sich nicht kümmernden Vater zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren.

Schwere Versäumnisse der Jugendämter

In beiden Fällen konstatierten die Gerichte schwere Versäumnisse der Jugendämter. Im Fall Kevin war das Jugendamt Bremen trotz Warnhinweisen nicht entschieden genug eingeschritten. Danach wurde der Jugendschutz umfassend umstrukturiert, um solche Fälle zu verhindern.

Die dreijährige Yagmur wurde nach den Reformen nach erlittenem Leid und Herausnahme aus der Familie vom Jugendamt wieder in den Unglücksfamilie zurückgegeben. Beide Kinder haben auch fehlenden Kinderschutz mit dem Tod bezahlt.

Jugendamt als Compliance-Officer

Regelkonformität ist zunächst von den Familien selbst gefordert. Ein Regelwerk für Erziehung kann es in einer freien Gesellschaft nur begrenzt geben. Zumindest existiert der Grundkonsens, dass ein Kind ein Recht hat auf

  • körperliche Unversehrtheit,
  • psychische Unversehrtheit und
  • unversehrte Entwicklungsmöglichkeiten.

Es ist gut, dass der Staat die Einhaltung dieser Regeln in Familien grundsätzlich nicht überwachen kann. Existieren jedoch Hinweise, sei es durch Nachbarn, durch Ärzte oder sonstige Personen, dass in Familien diese Grundregeln nicht beachtet werden, so ist es Aufgabe des Jugendamtes, die Einhaltung dieses Grundregelwerks in Familien zu überwachen und im übergeordneten Interesse des Kindes die Aufgabe des Compliance- Officers wahrzunehmen.

Jugendämter fordern klare Strukturen

Offenbar sind die Jugendämter mit dieser Aufgabe nicht selten überfordert. Die Jugendämter selbst stöhnen eher unter einer Überregulierung der Verfahrens-und Dokumentationspflichten. Sie bemängeln aber, dass ein qualifiziertes Regelwerk zur Überprüfung der Kindeswohlgefährdung im Einzelfall nicht existiert. Die Ämter fordern Richtlinien für die Kontrolle der Gefährdung des Kindeswohls in körperlicher und in seelischer Hinsicht. Sie fordern zurecht klare Markierungspunkte dazu, wann von einer Kindeswohlgefährdung in einem Maße auszugehen ist, die die Herausnahme eines Kindes aus der Familie erforderlich macht.

Rechtsprechung des BVerfG  wird kritisch gesehen

Die Jugendämter verweisen auf die diverse Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Herausnahme eines Kindes aus der Familie an strenge Voraussetzungen gebunden ist, die in vielen Fällen, in denen die Herausnahme unter Kindeswohlsgesichtspunkten erforderlich wäre, nicht vorlägen (BVerfG, Beschluss v. 19.11.2014, 1 BvR 1178/14). Die Jugendämter bemängeln, dass die Rechte der Eltern auf Umgang mit dem Kind insoweit überbetont würden und oft die Maßnahmen, die dem Kindeswohl entsprechen, verhinderten. So fordere das Verfassungsgericht, dass vor einer Wegnahme eines Kindes aus einer Familie dieser zunächst Familienhilfe angeboten werden müsse. Anders als bei Sorgerechtsentscheidungen ist für Angebote zu Familienhilfe aber nicht das Familiengericht sondern das Verwaltungsgericht zuständig. Dies führt nach Auffassung des Richters am OLG Frankfurt, Stefan Heilmann, zu geradezu  kafkaesken Zuständigkeitsproblemen.

Kinderschutzgericht als letzte Kontrollinstanz

Fachleute fordern deshalb klare Zuständigkeiten und Richtlinien sowohl für Jugendämter als auch für Gerichte. Betont wird die Wichtigkeit eines Kinderschutzgerichts nach Schweizer Vorbild, das für alle Belange eines Kindes zuständig sein soll. Dieses soll nicht nur mit Juristen, sondern auch mit Psychologen und Sozialarbeitern besetzt sein.

Daneben fordern Familienrechtler die Einführung eines Kindergrundrecht auf ungefährdete Erziehung. Ein solches Grundrecht hätte nach Auffassung vieler Juristen erheblichen Einfluss auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung, die nach Auffassung vieler Familienrechtler die Elternrechte gegenüber den Kinderrechten immer noch überbetont.

Verbesserung des Kinderschutzes dringend geboten

Im bundesrepublikanischen Alltag ist der Schutz der Kinder immer noch deutlich lückenhafter, als manche dies wahrhaben wollen.

Ein Regelwerk zum Schutz der Kinder, das die beteiligten Ämter und Gerichte einschließt, ist dringend erforderlich. Das beschützte Kind im Stall von Bethlehem ist für viele Kinder derzeit noch ein frommer Traum, der mit ihrer Realität nichts gemein hat. So gesehen könnte das Weihnachtsfest auch als Aufforderung zur Schaffung einer von der Gesellschaft insgesamt akzeptierten Compliance zum Schutze der Kinder aufgefasst werden.