BGH gegen Ausnutzung der Wasserversorgungsmonopole

Die Preismissbrauchskontrolle bei der Wasserversorgung ist für die Kartellämter häufig nicht leicht. Die Verfahren gegen die Wasserversorger sind kompliziert und werden von den Gerichten nach unterschiedlichen Maßstäben beurteilt.

Die Probleme zeigen sich exemplarisch an dem pingpongartigen Hin und Her zwischen dem OLG Stuttgart und dem BGH bei dem Streit um die Wasserpreise im baden-württembergischen Calw.

Wettbewerbswidriger Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung

Die Preisbildung bei dem Versorgungsunternehmen Energie-Calw-GmbH (ENCW) war der Kartellbehörde lange ein Dorn im Auge. Wegen wettbewerbswidriger Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung hatte die Kartellbehörde der ENCW aufgegeben, unter Beibehaltung des geltenden Grundpreises für die Zeit Januar 2008 bis Dezember 2009 statt dem bisherigen Preis von 2, 79 Euro pro Kubikmeter Wasser einen Nettopreis von nicht mehr als 1,82 Euro zu berechnen und den Kunden die Differenz zu erstatten.

OLG beanstandet Berechnungsmethode der Kartellbehörde

Das OLG Stuttgart war mit der Berechnungsmethode der Kartellbehörde nicht einverstanden. Die Kartellbehörde hatte nicht den üblichen Weg gewählt, die von der ENCW erhobenen Preise mit denen anderer Unternehmen zu vergleichen.

  • Die Kartellwächter hatten in einer eigenständigen betriebswirtschaftlichen Berechnung unter Berücksichtigung der Ausgabenseite des Versorgungsunternehmens, der Investitionen und Abschreibungen einen maximal zulässigen Preis von 1,82 Euro errechnet.
  • Nach Auffassung des OLG durften die Kartellwächter nicht eine eigenständige betriebswirtschaftliche Berechnung ohne Berücksichtigung von Vergleichswerten an die Stelle der unternehmenseigenen Berechnung setzen.

Der Senat erklärte die Anordnung der Kartellbehörde daher für unrechtmäßig.

Kartellbehörde ist nicht zwingend an Marktvergleiche gebunden

Der BGH stellte bereits mit seiner ersten Entscheidung in dieser Sache vom 15.05.2012 klar, dass gemäß § 19 GWB die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung immer anzunehmen ist, wenn ein Unternehmen Entgelte fordert, die von den mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erzielenden Entgelten abweichen, die sich bei einem wirksamen Wettbewerb wahrscheinlich gebildet hätten.

Entgegen der Auffassung des OLG könne der Preishöhenmissbrauch dabei nicht nur aufgrund einer Vergleichsmarktbetrachtung festgestellt werden. Die Kartellbehörde könne auch die Preisbildungsfaktoren als solche überprüfen und selbst hiernach Berechnungen anstellen.

OLG spielt den Ball an die Behörde zurück

Auf die Entscheidung des BGH hatte der OLG-Senat die Verfügung der Landeskartellbehörde im September 2013 insgesamt aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an die Landeskartellbehörde zurückverwiesen, wobei der OLG-Senat die Berechnungsmethode der Kartellbehörde in verschiedenen Punkten für unzulässig erklärt hat. Hiergegen legte die Kartellbehörde Rechtsbeschwerde ein, die beim BGH wiederum erfolgreich war. Der BGH beanstandete, dass der OLG-Senat die Verfügung der Kartellbehörde insgesamt aufgehoben hatte, obwohl die Verfügung nur in Teilen rechtswidrig gewesen wäre. Hinsichtlich des rechtmäßigen Teils hätte das Beschwerdegericht die Verfügung nicht aufheben dürfen.

Umfassende Kostenkontrolle durch die Kartellbehörde

Der BGH stellte auch klar, dass die Schwelle zum Einschreiten für die Kartellwächter schon bei einer 3%-igen Überhöhung der Preise und nicht wie vom OLG angenommen bei 7,5 % liegt. Außerdem wies der BGH darauf hin, dass die Kostenkontrolle durch die Kartellbehörde anhand der Preisbildungsfaktoren aufgrund der einschlägigen und gegebenenfalls auch weiter zu entwickelnden ökonomischen allgemeinen Theorien erfolgen könne.

Der Begriff der ökonomischen Theorien sei hierbei weit auszulegen und umfasse auch die Grundsätze der Strom- und Gasnetzentgeltverordnung. Zu Unrecht habe das Beschwerdegericht jedoch angenommen, die Behörde sei bei ihrer Überprüfung an diese Verordnungen in der Weise gebunden, dass sie die Überprüfung entweder komplett hierauf zu stützen hätten oder gar nicht. Die Tragfähigkeit der von der Kartellbehörde angewandten Methoden muss nach Lesart des BGH in jedem einzelnen Punkt auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Das OLG wird den Fall einfach nicht los

Von Bedeutung war auch der Hinweis des BGH auf die Beweislastverteilung. Der im Kartellverfahren herrschender Amtsermittlungsgrundsatz bedeute nicht, dass die betroffenen Unternehmen keine Mitwirkungspflichten hätten. Kooperiere das betroffene Unternehmen nicht, so gehe dies im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu seinen Lasten. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze muss das OLG nun erneut übernehmen.

Lösung noch in weiter Ferne

Der Rechtsstreit wird zwischen den Parteien äußerst verbissen geführt. Eine Einigung war trotz mehrfacher Versuche des OLG bisher nicht möglich. Die Bildung der Wasserpreise ist (nicht nur) in Baden-Württemberg ein äußerst umstrittenes Thema.

In einem ähnlichen Verfahren einigten sich der EnBW und die Landeskartellbehörde vor dem OLG Stuttgart wegen der im Raum Stuttgart geltenden Wasserpreise auf einen Vergleich, wonach EnBW die Preise rückwirkend für den Zeitraum von August 2012 bis Ende 2014 um rund 20 % senkt und seinen Kunden ca. 46 Millionen Euro Rückerstattung leisten muss. Die ENCW hat bisher keine Bereitschaft zu einer vergleichbaren Einigung gezeigt. Ein Mitarbeiter des Kartellamtes stellte bereits die Vermutung auf, die Griechenland-Frage sei wahrscheinlich schneller gelöst als die Bildung des Wasserpreises in Calw. Offensichtlich hat das OLG noch eine schweißtreibende Arbeit vor sich.

(BGH, Beschluss vom 14.7.2015, KVR 77/13).


Vgl. zu dem Thema auch:

Wenn das Kartellamt ins Haus kommt

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