Ideen der Verhaltensökonomie für Compliance und Integrity

Regelgerechtes Verhalten muss nicht immer mit der Androhung von Sanktionen erzwungen werden. Wussten Sie z.B., dass Menschen in einem Test allein schon dann weniger „schummeln“, wenn man ihnen erzählt, dass ein Verhaltenskodex gilt oder die Teilnehmer vorher gebeten werden, die Zehn Gebote aufzuzählen? Solche Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomik können sich auch Compliance-Verantwortliche zunutze machen.

Verhaltensökonomik: Der Kontext beeinflusst unsere Entscheidungen

Verhaltensökonomik (Behavioral Economics) ist ein relativ junger Forschungsstrang, der Methoden der Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie nutzt, um zu erklären, wie Menschen in der Praxis Entscheidungen treffen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Verhaltensökonomik ist, dass eine getroffene Entscheidung sehr stark vom Kontext abhängt. Für die Entscheidung ist nicht nur der Inhalt wichtig, sondern auch wesentlich wie sie formuliert oder dargestellt wird. Machen Sie selbst den Test: Würden Sie sich eher für eine Operation entscheiden, die Ihnen eine 95% Überlebenswahrscheinlichkeit bietet oder eine Sterbewahrscheinlichkeit von 5%? Die Operation ist in beiden Fällen dieselbe, nur die Formulierung ist unterschiedlich. Befragte Personen entscheiden sich häufiger für die Operation, wenn von hohen Überlebenswahrscheinlichkeiten gesprochen wird. Die verhaltensökonomische Forschung konnte inzwischen viele ähnliche Fälle aufzeigen. Diese Erkenntnisse können auch praktisch genutzt werden, um Menschen ihre Entscheidungen zu erleichtern. Dies wird oft als „Stupser“ (englisch: nudge oder nudging) bezeichnet, ist aber aufgrund des Missbrauchspotentials durchaus umstritten.

Wie man Stupser in Richtung Compliance geben kann?

Mit explizitem Bezug zu Compliance wurden verhaltensökonomische Ansätze bislang nur selten angewandt. Dennoch lassen sich verschiedene Anwendungshinweise geben, die mit diesen Erkenntnissen in Einklang stehen und sich in der Praxis schon weitestgehend bewährt haben:

  • Seien Sie sich der Macht der richtigen Formulierung bewusst. Beispielsweise können die Formulierungen von Verhaltenskodizes (Code of Conduct), spezielle Richtlinien und andere Informationsmaterialen erheblichen Einfluss auf die Regelbefolgung haben. Verhaltensökonomische Experimente haben gezeigt, dass die Aufforderung „Sei kein Betrüger“ im Gegensatz zu „betrüge nicht“ vor einem Test dazu führt, dass Teilnehmer weniger schummeln. Appellieren Sie in Formulierungen also an den Anstand der Personen und an ihr integres Selbstbild.
  • Nutzen Sie Vorbildverhalten. Menschen orientieren sich an bekannten Verhaltensmustern und wollen nicht jede Entscheidung überdenken müssen. Verhaltensmuster werden häufig durch Beobachtung von Vorbildern gelernt und übernommen. Seien Sie sich bewusst, dass Vorgesetzte auch Vorbilder sind und sie durch ihr Verhalten die akzeptierten Verhaltensmuster von Mitarbeitern beeinflussen. Wie das am einfachsten umgesetzt werden kann?
  1. Machen Sie allen Führungspersonen im Unternehmen immer wieder klar, dass sie eine solche Vorbildrolle auch ausfüllen müssen.
  2. Setzen Sie den Punkt regelmäßig auf die Tagesordnung von Führungskräftemeetings.

  3. Vermeiden Sie Sonderregeln für unterschiedliche Hierarchiestufen, da dies von Mitarbeitern als Rechtfertigung für eigenes Fehlverhalten genutzt wird.

  4. Falls Abweichungen nicht vermieden werden können, erklären und kommunizieren Sie die Gründe hierfür intensiv.

  5. Der „Tone from the Top“ ist auf allen Hierarchiestufen wichtig. Nicht nur an der Spitze.

  • Verinnerlichen Sie erwünschte Verhaltensmuster durch regelmäßige und praktische Schulungen. Belassen Sie es nicht bei einmaligen Präsentationen Ihres Verhaltenskodex. Wiederholen Sie Schulungen regelmäßig. Für so genannte Risikogruppen wie Vertrieb, Einkauf und Accounting sollten Sie 1-2 mal pro Jahr eine Schulung einplanen. Machen Sie Schulungen so praktisch relevant wie möglich, indem Sie konkrete Fälle aus dem Alltag der Mitarbeiter diskutieren. Und belassen Sie es nicht bei Präsentationen und Diskussionen. Spielen Sie z.B. Geschenkesituationen mit Vertriebsmitarbeitern durch. Durch eigenes Erleben verinnerlichen wir das Gelernte und bilden eigene Verhaltensmuster aus. Geben Sie so viel Hilfestellung wie möglich. Spielen Sie z.B. mit Einkaufsmitarbeitern konkret durch, wie und mit welchen Formulierungen ein Geschenk abgelehnt werden kann.
  • Gestalten Sie kritische Entscheidungssituationen in Hinblick auf Compliance und rufen Sie die erwünschten Verhaltensmuster ins Gedächtnis. Bei einem Experiment wurde gezeigt, dass Probanden, die gebeten wurden, die Zehn Gebote aufzuschreiben, in einem nachfolgenden Test nicht schummeln. Genauso schummeln Studenten nicht, wenn ihnen vor dem Test mitgeteilt wird, dass dieser dem Ehrenkodex der Universität unterliege (selbst wenn die Universität über keinen solchen Kodex verfügt). Für die Umsetzung im Unternehmen helfen folgende Beispiele:
  1. Machen Sie sich das zunutze und erinnern Sie z.B. Vertriebsmitarbeiter, die zu einer Messe fahren und dort auch auf Konkurrenten treffen, kurz zuvor daran, dass Sie über einen Verhaltenskodex verfügen und dieser Absprachen mit Wettbewerbern verbietet.

  2. Oder weisen Sie Einkäufer vor einer wichtigen Verhandlung in einer stark korruptionsanfälligen Region kurz zuvor per Anruf, SMS oder Email darauf hin, dass bei Ihnen bestimmte Regeln für die Annahme von Geschenken und Einladungen gelten.

  3. Unterfüttern Sie das auch mit praktischen Fällen, die die Vorbildwirkung nutzen, beispielsweis dass Ihr Vorstand einmal zu dem Besuch eines Sterne-Restaurant eingeladen wurde und er dies abgelehnt hat, weil es gegen den Verhaltenskodex verstoßen würde.

  • Verstehen Sie sich als Dienstleister und machen Sie Mitarbeitern ihre Entscheidung so einfach wie möglich. Wenn Sie beispielsweise erwarten, dass Mitarbeiter erhaltene Geschenke bei Ihnen jährlich melden, dann unterstützen Sie diese durch ein elektronisches Zuwendungsregister oder stellen Sie ein einfaches Formular zur Verfügung, das nur die relevanten Daten abfragt und häufige Fälle als Multiple-Choice-Antworten zum Ankreuzen bereits vorformuliert.

Fazit

Seien Sie offen für die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik und lassen Sie sich inspirieren. Inzwischen wurden schon einige populärwissenschaftliche Bestseller dazu verfasst wie z.B. Kahnemann: „Thinking. Fast and slow“; Sunstein/Thaler: „Nudge“; Ariely: „Predictably Irrational“; „The (honest) truth aboutdishonesty“.

Insbesondere die Bücher von Dan Ariely befassen sich mit Betrug, Schummeleien und Täuschung und lassen sich wie ein Krimi lesen. Warum nicht einfach einmal ein solches Buch auf der nächsten Dienstreise überfliegen und versuchen, die darin enthaltenen Erkenntnisse auf den eigenen Kontext zu übertragen?

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