Geplante Veränderungen des Kartellrechts durch 10. GWB-Novelle

Dem Trend des Framing folgend, bezeichnet der Gesetzgeber seine jüngste GWB-Novelle als „GWB-Digitalisierungsgesetz“. Diese Bezeichnung ist nicht falsch, aber unvollständig. Denn die Reform betrifft so gut wie alle Bereiche des Kartellrechts. Was wird davon erfasst?

Digitalisierung und Reform der Missbrauchsaufsicht

Dass die Disruption durch die Digitalisierung einen erheblichen Regelungsbedarf geschaffen hat, kann kaum bestritten werden. Daten als Wertschöpfungsfaktor gewinnen eine immer stärkere Bedeutung. Netzwerkeffekte, Skalen- und Verbundvorteile führen zu einer Konzentration von Marktmacht, vor allem in der Plattformökonomie. Manche Unternehmen hebeln ihre Marktmacht, um ihr digitales Ökosystem marktübergreifend einzusetzen (Leveraging). Innovationen wie künstlich intelligente Preisalgorithmen stärken diese digitalen Gatekeeper weiter.

Einerseits ist der deutsche Gesetzgeber mit dem Versuch, wettbewerbsrechtliche Instrumente zur Bewältigung der vorgenannten Herausforderungen zu schaffen, weltweit Vorreiter. Angesichts des Umstandes, dass derzeit kaum ein deutsches IT-Unternehmen eine marktübergreifende Bedeutung genießt, ist anderseits die vor allem in den USA geäußerte Kritik, die Bundesregierung betreibe Industriepolitik zugunsten deutscher Unternehmen, nicht ganz ohne Berechtigung.

Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung“, also zum Beispiel mit einer hohen Finanzkraft und Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, ist zukünftig diskriminierendes Verhalten untersagt und Drittunternehmen können Zugang zu etwaigen Daten und Informationen erhalten (§§ 19a, 20 Abs. 2 GWB-E). Erfasst werden auch „Unternehmen, die als Vermittler auf mehrseitigen Märkten tätig“ sind (§ 20 Abs. 1 S. 2 GWB-E). Auf diese Regelung dürfen sich wegen des Wegfalls der Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen nun alle Unternehmen berufen (§ 20 Abs. 1 S. 1 GWB-E).

Geplante Änderungen in der Fusionskontrolle

Anders als noch in der ersten öffentlich gewordenen Fassung des Reformentwurfs, kommt es nicht nur zu einer maßvollen Anhebung der Inlandsaufgreifschwelle: Diese liegt statt bisher bei 5 Millionen Euro nun bei 10 Millionen Euro.

Vielmehr müssen sich Unternehmen bestimmter Branchen nun auf ein ganz neues fusionskontrollrechtliches Instrument einstellen, die „Aufforderung zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse“ (§ 39a GWB-E). Diese als „Remondis-Klausel“ bezeichnete Regelung adressiert einen Wunsch des Bundeskartellamtes, Kettenaufkäufe von Unternehmen (mit Umsätzen unterhalb der Aufgreifschwelle, aber mehr als 2 Millionen Euro) prüfen zu können. Die konkrete Ausgestaltung dieser Regelung ist ein Paradigmenwechsel, weg von rein objektiven Kriterien.

Zukünftig kommt es auch auf die Bewertung des Bundeskartellamtes an, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Wettbewerb in bestimmten Wirtschaftszweigen eingeschränkt wird. Im Fokus werden voraussichtlich zunächst Branchen wie Walzasphalt, Krankenhauswesen und der Lebensmitteleinzelhandel stehen.

Anpassung des Verwaltungsverfahrens des Bundeskartellamts

Dem Beispiel Frankreichs folgend, soll das Instrument der einstweiligen Anordnung praxistauglicher werden (§ 32a GWB-E). Erst die Verwaltungspraxis des Bundeskartellamtes wird zeigen, ob die vollständige Aufgabe des einschränkenden Kriteriums der „ernsten nicht wiedergutzumachenden Gefahr für den Wettbewerb“ vielleicht doch zu weit reicht.

Auf ein sehr positives Echo ist die Kodifizierung des sogenannten Vorsitzendenschreibens in § 32c Abs. 2 GWB-E gestoßen. Dass diese flexible „Dienstleistung“ des Bundeskartellamtes erhalten bleibt, schafft Rechtssicherheit und erlaubt gerade bei innovationsgetriebenen Unternehmenskooperationen Planungssicherheit.

10. GWB-Novelle plant Veränderungen im Bußgeldverfahren

Im Bußgeldrecht kommt es zu einer Vielzahl komplexer Veränderungen, die der Umsetzung der ECN+ Richtlinie (EU 1/2019) dienen. Das erste Ziel der Richtlinie – die Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse der Kartellbehörden auszuweiten – setzt der Entwurf dabei konsequenter um, als das zweite Ziel – die Stärkung korrespondierender Garantien und Verteidigungsrechte.

Zum Beispiel werden Befugnisse bei Durchsuchungen verschärft (§ 59b GWB-E, der im Bußgeldverfahren entsprechend gilt, § 81o GWB-E), während weiterhin auf die Einführung eines umfassenden legal privilege verzichtet wird. Dies ist umso misslicher, als der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (S. 127 Begründung) ausgerechnet die Entscheidung des EuGH zitiert, die die Bedeutung des legal privilege herausstellt (Rechtssache AM & S Europe, 1982)

Was plant das „GWB-Digitalisierungsgesetz“ zum Schadensersatz?

In § 33a Abs. 5 GWB-E wird nun die Kartellbetroffenheit widerleglich vermutet werden, was auch für mittelbare Abnehmer gilt (§ 33c Abs.2 S.2 GWB-E). Dies ist eine Reaktion des Gesetzgebers auf ein Urteil des BGH im Schienenkartell, das den von Oberlandesgerichten etablierten Anscheinsbeweis zur Schadensverursachung für unanwendbar erklärt hatte (Begründung S. 92). Damit stärkt der Gesetzgeber erneut die Klägerrechte.

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Hintergrund:

Zur Vorbereitung der Novelle hatte das BMWi eine Studie zum Thema Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen in Auftrag gegeben und deren Auswertung inzwischen abgeschlossen. Daneben hat die Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ Vorschläge für eine Weiterentwicklung und Harmonisierung des europäischen Wettbewerbsrechts erarbeitet.

Die Neuregelungen haben insbesondere Plattform-Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook & Co im Fokus und sollen einen wettbewerbswidrigen Umgang mit Daten deutlich erschweren. Die ungebremste Datensammelwut der Internetriesen soll mit verschärften Spielregeln für marktbeherrschende Plattformen deutlich eingedämmt und der Markt und Datenzugang für Wettbewerber verbessert werden, so der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.


Schlagworte zum Thema:  Wettbewerbsrecht, Kartellrecht