Compliance - Tone from the Top

Niemand will kriminell sein. Aber wenn kriminelles Verhalten vorgelebt wird oder die Gelegenheit zu verlockend ist, sind Anreize entsprechend gestellt. Compliance-Verantwortliche müssen für die richtigen Anreize in Form von Sanktionen und Kontrollen sorgen, aber auch in Form von Kommunikation und Vorbildfunktion.

Sind Menschen gerne kriminell?

Compliance-Verantwortlicher beschäftigen sich berufsbedingt oft und umfassend mit manchen Abgründen menschlichen Schaffens. Sie haben ein wachsames Auge auf diverse Unternehmensskandale, die sich um Korruption, Betrug, Datenmissbrauch oder vieles anderes drehen und stellen sich ständig die Frage, wie sie ähnliche Skandale im eigenen Unternehmen verhindern können. Manchen kann sich dabei der Eindruck aufdrängen, dass Manager und Mitarbeiter ständig versuchen, die Unternehmen entweder zum eigenen Vorteil auszunutzen oder im Namen des Unternehmens andere zu betrügen. Pessimistischere Compliance-Verantwortliche und andere Beobachter könnten sich vielleicht sogar dazu hinreißen lassen, zu glauben, dass alle Mitarbeiter im Grunde kriminell sind und durch sie davon abgehalten werden müssen. Verschiedene Untersuchungen zeigen glücklicherweise, dass dies nicht der Fall ist.

Nein, aber sie werden es, wenn sie die Gelegenheit und eine Rechtfertigung haben

Nur eine sehr geringe Zahl (im unteren einstelligen Prozentbereich) von Wirtschaftskriminellen begeht seine Vergehen tatsächlich aus Freude am Betrug und dem Gefühl, über dem Gesetz zu stehen als Bestätigung der eigenen Hybris. Und das sogar trotzdem andere Untersuchungen eine erschreckend hohe Quote von Psychopathen unter den Wirtschaftslenkern ausmachen. Der allergrößte Teil der Wirtschaftskriminellen begeht seine Taten, weil sie die Gelegenheit dazu haben und weil sie sich bequeme Rechtfertigungen dafür zurechtgelegt haben. Kurz: der normale Mitarbeiter oder Manager will nicht kriminell werden. Diese sind aber auch nur Menschen, und wenn sich ihnen die scheinbar einfache Gelegenheit bietet, sich einen Vorteil zu verschaffen, tun sie es manchmal. Aber auch nur, wenn sie sich dafür vor sich selbst rechtfertigen können. Für einen Compliance-Verantwortlichen hat das zwei Konsequenzen: Erstens, muss er dafür sorgen, dass die Gelegenheiten minimiert werden und so die Mitarbeiter so selten wie möglich in Versuchung geführt werden. Zweitens, muss er an das Gewissen und den Anstand der Mitarbeiter und Manager appellieren, dass sie die Gelegenheiten, die sich ihnen zweifelsohne doch immer wieder präsentieren werden, nicht ausnutzen.

Reduzieren Sie Gelegenheiten und sprechen Sie das Selbstbild der Mitarbeiter an

Zu ersterem ist schon vieles Gesagt und Geschrieben worden. Rein praktisch führt dies aber meist darauf hinaus, dass eine automatische Überwachung oder ein Vier-Augen-Prinzip an allen Stellen eingeführt werden sollte, wo Mitarbeiter die Gelegenheit haben, dem Unternehmen zu schaden.  Die praktische Erfahrung lehrt hier aber, dass dieses Vier-Augen-Prinzip zwar anfänglich oft mit großem Überschwang eingeführt wird, aber relativ bald im Alltag untergeht. Jedem Compliance-Verantwortlichen sei daher empfohlen, in regelmäßigen Abständen, die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips anzumahnen und zu überprüfen (oder durch z.B. die Revision überprüfen zu lassen). In Zeiten der Digitalisierung bieten sich daneben noch weitere Möglichkeiten, nämlich die menschlichen Entscheidungen so weit es geht zu kanalisieren, so dass von vornherein kein Betrug mehr möglich ist. Das ist dann der Fall, wenn z.B. Entscheidungen nur durch oder über Software getroffen und dokumentiert werden. Aber auch dies ist natürlich nur für einen beschränkten Umfang von Entscheidungen in Unternehmen einsetzbar, auch wenn sich – gerade im Compliance-Umfeld z.B. mit Geschenke-Registern oder Apps mit vordefinierten Entscheidungsbäumen – immer mehr Möglichkeiten bieten, die Digitalisierung für sich zu nutzen. Am Ende wird der Compliance-Verantwortliche immer noch auf solche Mittel seinen Schwerpunkt setzen müssen, die es verhindern, dass der potentielle Compliance-Sünder die eigene Tat vor sich rechtfertigen kann. Darauf zielt genau der berühmte „Zeitungstest“ ab, den Compliance-Beauftragte gerne in Trainings nahelegen, um den Mitarbeitern zu erklären, was sie tun dürfen und was nicht; nämlich gerade das womit sie gut leben könnten, wenn es morgen in der Zeitung stünde. Darauf darf es sich aber freilich nicht beschränken. Experimente haben gezeigt, dass die Bereitschaft, sich an kleineren Betrügereien zu beteiligen dann zurückgeht, wenn den Probanden zuvor gesagt wurden, dass sie „keine Betrüger“ sein sollen und nicht, dass sie „nicht betrügen“ sollen. Dinge, die man tut, können Mitarbeiter rechtfertigen mit tatsächlichen oder konstruierten Rechtfertigungsgründen. Etwas zu sein, nämlich ein Betrüger, lässt sich nicht rechtfertigen und wiederspricht dem eigenen Selbstbild der Betroffenen. Compliance-Verantwortliche sollten daher in Trainings und Ihrer Kommunikation verstärkt auf diesen Effekt setzen: Zeigen Sie zu Beginn ihrer Schulungen nicht eine Reihe von Compliance-Skandalen und Vorfällen auf, sondern zeigen sie den Kollegen die Menschen, die diese Skandale ausgelöst haben und wie sie danach oft geächtet wurden. Sagen sie nicht (nur), sie sollen keine übermäßigen Geschenke machen, sondern sie sollen anständige und integre Menschen bleiben. Dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter trotz sich ihnen bietender Gelegenheit auch compliant bleiben.

Nehmen Sie Führungskräfte als Vorbilder in die Verantwortung – Tone from the Top

Zusätzlich zu Schulungen und Trainings sind aber vor allem diejenigen Menschen in Ihrem Unternehmen wichtig für den Compliance-Erfolg, die ganz unmittelbar auf das Verhalten und die Selbstwahrnehmung der Mitarbeiter Einfluss haben. Vorbilder sind von entscheidender Bedeutung. Gerade Führungskräfte müssen diese Rolle annehmen. Nur wenn sie ein integres Vorbild abgeben, können Mitarbeiter auch ein Selbstbild entwickeln, das es sich zu aktivieren lohnt. Es ist eine lohnende Aufgabe für jeden Compliance-Verantwortlichen, die Führungskräfte genau darauf einzuschwören.

Schlagworte zum Thema:  Compliance-Manager, Compliance-Management