Bad Aibling - Verfahren wegen Organisationsverschulden?

Unternehmen sind verpflichtet, sich so zu organisieren, dass mögliche Schadensfälle systematisch vermieden werden können. Im Zusammenhang mit dem Zugunglück von Bad Aibling rückt diese Pflicht erneut in den Fokus.

Am 09.02.2016 stießen in der Nähe von Bad Aibling im Kreis Rosenheim auf einer eingleisigen Strecke zwei Züge frontal aufeinander.Der von Bad Aibling Richtung Kolbermoor fahrende, um ca. 4 Minuten verspätete Zug hatte von dem zuständigen Fahrdienstleiter ein Sondersignal zur Weiterfahrt erhalten, wodurch er auf der eingleisigen Strecke frontal mit einem pünktlich verkehrenden Regionalzug zusammenstieß. 11 Menschen starben, 80 wurden verletzt. Es wurde ein Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, eingeleitet. Derzeit läuft der Prozess gegen den diensthabenden Fahrdienstleiter.

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Weitergehende Verantwortung für Betriebsleitung wegen Organisationsverschulden?

Offen ist, inwieweit auch die Verantwortung der Betriebsleitung juristisch geprüft wird. Beim Transrapid-Unglück 2006 wurden neben den Fahrdienstleitern auch die Betriebsleiter verurteilt: Der Vorwurf: Organisationsverschulden. Es hätten Verfahrensanweisungen gefehlt, die einen sicheren Prozessablauf gewährleistet hätten. Ein Mausklick hätte genügt, um die Fahrwegsperre zu aktivieren.

Die Sicherstellung regel- oder pflichtgemäßen Verhaltens ist der Dreh- und Angelpunkt eines Compliance-Managements. Doch es stellt sich die Frage, wie lange der Mensch bei immer komplexer werdenden Anforderungen aus Recht, Technik und Psychologie diesen noch gerecht werden und die - auch strafrechtlich bewehrte - Verantwortung für „pflichtgemäßes“ Verhalten tragen kann.

Lernen aus dem Unglück: Schadensfälle systematisch vermeiden - Maßnahmen treffen, kontrollieren, dokumentieren

Unternehmen sind verpflichtet, sich so zu organisieren, dass mögliche Schadensfälle systematisch vermieden werden können, z. B. durch dokumentierte, rechtssichere Prozessabläufe, oder Arbeitsplatzbeschreibungen. Dies gilt nicht nur im sicherheitsrelevanten Bereich.

Sofern die Geschäftsleitung das Unternehmen (rechts-)sicher organisiert, z. B. mit Hilfe von (rechts-)sicheren Verfahrensanweisungen, kann es trotzdem immer noch vorkommen, dass sich einzelne Mitarbeiter im Einzelfall nicht daran halten und dadurch Schäden verursachen. Diese sind dann unter Umständen auch persönlich in der Verantwortung. Dem Unternehmensleiter ist dann jedoch kein Vorwurf mehr zu machen.

Unternehmensorganisation: Erfüllung rechtlicher Pflichten und Berücksichtigung von Risiken angemessen gewährleisten

Die Unternehmensorganisation mit Hilfe von Checklisten und Verfahrensanweisungen kennen viele Praktiker bereits aus dem Qualitäts- und Prozessmanagement bzw. aus der Organisationslehre.

Völlig neu zu sein scheint, auch die vielfältigen rechtlichen Anforderungen und Risiken zu berücksichtigen und die Prozesse so auszugestalten, dass die Erfüllung auch dieser rechtlichen Pflichten und die Berücksichtigung von Risiken angemessen gewährleistet ist.

Genau dies jedoch ist jedoch „Governance, Risk und Compliance („GRC“)“ und zugleich die große und neue Herausforderung an das Management: Die Verknüpfung von Recht, Technik und Betriebswirtschaft, um eine (rechts-) sichere Unternehmensorganisation zu erreichen!

Compliance implementieren - mehr als Richtlinien verabschieden

Besondere Bedeutung mag in diesem Zusammenhang der Aussage eines Zeugen zukommen: Es sei zwar verboten gewesen, während der Dienstzeit auf dem Handy zu spielen. Eine entsprechende Richtlinie habe existiert.

Entsprechende Schulungen, Instruktionen oder eine Überwachung, ob die Regeln auch eingehalten werden, habe es aber wohl nicht gegeben. Dieses Phänomen ist in vielen Unternehmen anzutreffen: Eine Unmenge von Vorschriften, Richtlinien etc., jedoch fehlt es häufig an einer systematischen Erfassung, Ablage, Adressierung, Schulung und Einhaltungsüberwachung im Sinne eines effektiven und effizienten Richtlinien-Managements. Bei Verstößen stellt sich dann zu Recht die Frage nach einem Organisationsverschulden bei Unternehmen und bei der verantwortlichen Leitung.