"Eine anständige Art der Geschäftsführung ist auf die Dauer das Einträglichste, und die Geschäftswelt schätzt eine solche viel höher ein, als man glauben sollte." Mit diesem Zitat kann Robert Bosch[1] als einer der Vordenker für Compliance in Deutschland gelten. Die hieraus ableitbaren Werte Integrität und Nachhaltigkeit bestimmen auch heute die Compliance-Kultur westlicher Unternehmen.[2] Im Rahmen der Unternehmenskultur kommen Werte wie Verantwortung, Vertrauen, Respekt und Mut hinzu.[3] Inhaltlich sind die Werte Integrität und Verantwortung jedenfalls in Deutschland also keine Modeerscheinung. Aber handelt es sich um spezifisch westliche Werte? Im Rahmen eines Besuchs der Rechtsabteilung des chinesischen Staatskonzerns Sinopec habe ich einen Glasstein mit den "Sinopec Compliance Kultur Prinzipien" erhalten. Darauf steht sinngemäß: "Im Einklang mit dem Gesetz, Compliance, Gerechtigkeit und Integrität".[4] BASFs jüngster Joint-Venture-Partner in China, das privat geführte Unternehmen Markor, mit dem BASF im Jahr 2014 zwei Gemeinschaftsunternehmen gegründet hat, zählt "Verantwortung" zu seinen vier Unternehmenswerten.[5] Auf den Wert "verantwortungsvoll" gründet auch BASF ihr globales Compliance-Programm.[6] Sinopec und Markor sind nur zwei Beispiele von vielen aus China. Sie zeigen, dass Grundwerte auch mit Blick auf China sehr wohl unternehmensweit einheitlich definiert werden können.

Globale Grundwerte müssen allerdings sorgfältig vor dem Hintergrund der verschiedenen Kultursysteme und Denkweisen ausgesucht werden. Sie sollten zugleich hinreichend allgemein, um lokal mit Leben gefüllt werden zu können, und hinreichend konkret sein, um eine einheitliche, identitätsstiftende Unternehmenskultur schaffen zu können. So kann beispielsweise ein Grundwert wie "ethisches Verhalten" in China ganz anders verstanden werden als in Deutschland. Im kulturell kollektivistisch geprägten China versteht sich der Einzelne vor allem als Teil sozialer Netzwerke (Guanxi), deren Ausgangspunkt die Familie ist. Das Kollektiv hat Vorrang vor den Interessen des Einzelnen. Ethisch korrektes Verhalten in China kann daher im Widerspruch zu internationalen rechtlichen Rahmenbedingungen stehen, etwa bei der sozialen Kontaktpflege durch exzessive Gastlichkeit und Geschenke (Stichwort Korruption) oder bei der Auswahl von Familienmitgliedern oder engen Freunden als Geschäftspartner (Stichwort Interessenkonflikte). Das familiäre Versorgungsprinzip kann ethisch geradezu verlangen, dass ein Familienmitglied, das erfolgreich in einem Unternehmen untergekommen ist, Geschäftsmöglichkeiten für Familienangehörige und andere nahestehende oder einflussreiche Personen nutzbar macht. Auch wenn das planwirtschaftliche System von Danweis, der Einheit von Wohnen und Arbeiten (Arbeitseinheit), die zugleich Wohlfahrts- und Sozialfürsorge mit umfasste, in dieser Form heute nicht mehr besteht: In chinesischen (Staats-)Unternehmen ist es durchaus immer noch üblich, dass sie für ihre Mitarbeiter und deren Familienangehörige weit über den betrieblichen Kontext hinaus auch im Bereich von Freizeit und Urlaub sorgen. Unternehmensinteresse und Privatinteresse können so leicht vermischt werden.

Beim Stichwort Kollektivismus ist es wichtig zu verstehen, dass dieser sich keinesfalls auf den chinesischen Staat oder die Gesellschaft als Ganzes bezieht, sondern immer nur auf eine abgrenzbare, identitätsstiftende Gruppe, zu der sich der Einzelne zugeordnet fühlt. Gegenüber der Allgemeinheit oder gegenüber Fremden, die nicht im jeweiligen System des Guanxi eingebunden sind, bestehen keine Verpflichtungen, es herrscht Gleichgültigkeit. Innerhalb des Kollektivs ordnet sich der Einzelne den Kollektivinteressen unter, darüber hinaus jedoch nicht. Chinesen seien "Gruppenegoisten", bringt das treffend zum Ausdruck.[7] Der Kollektivismus geht in China (wie auch in anderen kollektivistischen Kulturen Asiens) mit einer eigenen Denkweise einher: der holistischen.[8] Hiernach werden Dinge im Kontext, das heißt in ihrer Wechselwirkung zu ihrer Umgebung, wahrgenommen. Das einleitend erwähnte Risiko, dass rein regelbasierte Compliance-Programme weniger beachtet werden, dürfte in China hierdurch noch verstärkt werden. Wenn Regeln nicht mit klaren Grundwerten verzahnt sind, können sie im Kontext mit den hohen Wachstumserwartungen in China bei der Erreichung der wirtschaftlichen Unternehmensziele und der persönlichen Ziele (Karriere, Bonus) leicht ins Hintertreffen geraten. Gemeinsame Werte verbinden und sind identitätsstiftend. Eine ausgeprägte Unternehmenskultur kann zusätzlich dafür sorgen, dass das Unternehmen von seinen Mitarbeitern als eigenes Kollektiv wahrgenommen wird, dessen wertebasierten Unternehmensinteressen Vorrang zukommt. Das sollten sich Unternehmen mit einer klaren Compliance-Kultur als Teil der Unternehmenskultur zunutze machen.

Kollektivismus und holistische Denkweise sind vermutlich auch die Ursache dafür, dass man in der chinesischen Arbeitswelt häufig auf Entscheidungs...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Compliance Office Online. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge