Die Verantwortung bei schuldhaften Verstößen gegen Arbeitsschutz- oder Sicherheitsbestimmungen, die zu Arbeitsunfällen führen, muss strafrechtlich unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) oder fahrlässigen Körperverletzung (§ 230 StGB) geprüft werden. Eine vorsätzliche Regelung dürfte in der Praxis ohne Bedeutung sein. Wie bei jedem anderen Straftatbestand sind objektive und subjektive Voraussetzungen maßgebend. Der objektive Tatbestand verlangt ein Handeln oder Unterlassen. In der Regel wird der Verantwortliche einen Arbeitsunfall nicht durch die aktive Einwirkung auf den Betriebsangehörigen verursachen, sondern durch ein Unterlassen, d.  h., eine an sich gebotene Sicherungsmöglichkeit unterbleibt. Für die Rechtswidrigkeit des Unterlassens ist darauf abzustellen, ob der Verantwortliche eine Rechtspflicht zum Handeln hatte und trotz dieser Verpflichtung (sog. Garantenpflicht) nicht gehandelt hat.

Eine Rechtspflicht zum Handeln hat derjenige, der einen tatsächlichen Pflichtenkreis in einem bestimmten Lebensbereich mit der Aufgabe übernimmt, für den Schutz Dritter zu sorgen, wobei ihm gleichzeitig das Recht eingeräumt wird, die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Maßnahmen und Entscheidungen selbst zu treffen. Eine nur moralische oder allgemeine Verpflichtung zum Handeln reicht zur Begründung einer Garantenstellung nicht aus.

In erster Linie verantwortlich für die Erfüllung der besonderen Arbeitsschutz- und Sicherheitspflichten (z.  B. nach § 21 SGB VII) und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Unfallverhütungsvorschriften, der Pflichten nach dem Arbeitsschutzgesetz und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ist der Unternehmer. Das folgt aus diesen Gesetzen selbst, aber auch aus den §§ 618, 619 BGB und § 62 HGB. Aus der Verpflichtung des Unternehmers, für den Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu sorgen, folgt eine entsprechende Rechtspflicht im Sinne einer Garantenpflicht gegenüber den Arbeitnehmern.

Eine derartige Rechtspflicht trifft auch den mit der Wahrnehmung der Unternehmerpflichten im Arbeits- und Gesundheitsschutz Beauftragten, der mit wirksamer Übertragung praktisch an die Stelle des Unternehmers tritt.

Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure oder andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben grundsätzlich keine Garantenstellung. Für sie besteht im Arbeits- und Gesundheitsschutz nur eine allgemeine Rechtspflicht ohne die notwendige Entscheidungsmacht, mit eigenen konkreten Maßnahmen in den Betrieb hineinwirken zu können. Dennoch ist im Einzelfall auch für Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte eine Garan tenstellung denkbar, wenn die Position entsprechend den dargelegten Grundsätzen ausgestattet ist, d. h., wenn Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht haben, eigene Maßnahmen aufgrund eigener Entscheidung und Verantwortung zu treffen.

Die Aufgaben der Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte werden im Gesetz mit Unterstützung, Beratung, Prüfung, Überwachung und Unterrichtung beschrieben. Das sind Pflichten allgemeiner Art, die nicht als konkrete Rechtspflichten im Sinne des Strafrechts angesehen werden können, weil keine Befugnis zum unmittelbaren Eingreifen besteht. Anders ausgedrückt: Eine Garantenstellung ist vor allem dann gegeben, wenn die tatsächliche Übernahme eines Pflichtenkreises in einem bestimmten Lebensbereich mit Schutzfunktion und Entscheidungsbefugnis vorliegt. Wenn man etwa auf den Sicherheitsingenieur abstellt, so müsste in seiner Person sowohl eine Unfallabwendungspflicht als auch eine Unfallabwendungsmacht gegeben sein. Für Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte trifft dies nicht zu. Zwar haben Betriebsarzt, Sicherheitsingenieur und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit als sachverständige Berater ihres Arbeitgebers eine umfassende Schutzaufgabe. Sie haben bei der Verwirklichung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung auch eine wichtige Unterstützungsfunktion, es fehlt ihnen aber das erforderliche Entscheidungsrecht. Die Entscheidung, was, wann, wo und wie zu geschehen hat, liegt nach wie vor beim Unternehmer als dem originär Verantwortlichen, sodass z. B. beim Sicherheitsingenieur die Unfallabwendungsmacht fehlt. Daran ändert auch nichts, dass Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bei der Anwendung ihrer arbeitsmedizinischen bzw. sicherheitstechnischen Fachkunde weisungsfrei sind.

§ 8 Abs. 3 ASiG legt ausdrücklich fest, dass letztlich der Arbeitgeber die Entscheidungsbefugnis hat. Er entscheidet endgültig, kann also auch den Vorschlag ablehnen. Damit sind weder Betriebsarzt, noch Sicherheitsingenieur, noch andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit Garanten. In der Praxis kommt es allerdings gelegentlich vor, dass z. B. einem Sicherheitsingenieur arbeitsvertraglich das Recht zugestanden wird, bei der Erfüllung seiner sicherheitstechnischen Aufgaben die erforderlichen Entscheidungen in eigener Verantwortung selbst zu treffen. Dies ist auch nach dem ASiG zulässig. In ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Compliance Office Online. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge