Gefährdungsbeurteilung für Gefahrstoffe: Was es zu wissen gibt

Gefahrstoffe am Arbeitsplatz können fest, flüssig oder gasförmig sein. Sie werden beschafft wie z.B. Ethanol als Reinigungsmittel oder sie können im Prozess entstehen wie z.B. Lötrauche. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung für Gefahrstoffe werden die Gefährdungen ermittelt und Schutzmaßnahmen festgelegt.

Für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ist der Arbeitgeber zuständig. Er darf eine Tätigkeit mit Gefahrstoffen erst dann aufnehmen lassen, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen wurden.

So erstellt man eine Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen

Arbeitgeber müssen bei der Gefährdungsbeurteilung feststellen, „ob die Beschäftigten Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben oder ob bei Tätigkeiten Gefahrstoffe entstehen oder freigesetzt werden können“ (§ 6 GefStoffV).

Die TRGS 400 konkretisiert die Gefährdungsbeurteilung als „systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen“. Dabei müssen v.a. die mit den Tätigkeiten verbundenen inhalativen, dermalen, oralen und physikalisch-chemischen Gefährdungen beurteilt werden. Die Form ist nicht festgelegt. Die TRGS 400 liefert einen Vorschlag zur Vorgehensweise (Anhang 1).

  • Personen festlegen, die die Gefährdungsbeurteilung durchführen: Es sind dazu spezielle Kenntnisse für alle Phasen der Gefährdungsbeurteilung erforderlich (Kap. 4.1 TRGS 400). Mehrere fachkundige Personen können bzw. sollen zusammenarbeiten, i.d.R. Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt.
  • Alle Tätigkeiten mit Gefahrstoffen erfassen, auch solche Tätigkeiten, bei denen Gefahrstoffe entstehen (z.B. Zwischenprodukte im Produktionsprozess) bzw. freigesetzt werden, z.B. Schweißrauche beim Schweißen.
  • Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung (§ 6 GefStoffV):
    • Falls es bereits Handlungsempfehlungen (z.B. in TRGSen) gibt, sie angewendet werden und sie geeignet sind, um Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten, können die dort empfohlenen Maßnahmen durchgeführt werden.
    • Liegen keine Handlungsempfehlungen vor oder sind sie nicht geeignet, müssen zunächst die Situation am Arbeitsplatz ermittelt, die Gefährdungen beurteilt, Möglichkeiten der Substitution geprüft, geeignete Maßnahmen festgelegt und deren Wirksamkeit geprüft werden.

Es schließt sich in beiden Fällen eine Prüfung darüber an, ob die Maßnahmen dauerhaft wirksam sind.

Substitutionsprüfung dokumentieren

Die Gefährdungsbeurteilung muss vor Aufnahme der Tätigkeit dokumentiert werden, Mindestangaben sind - zusätzlich zu den Forderungen nach ArbSchG - v.a. das Ergebnis der Substitutionsprüfung, ggf. eine Begründung für einen Verzicht auf Substitution und für das Abweichen von geltenden Regeln sowie Ermittlungsergebnisse bez. Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) oder Wirksamkeit der technischen Schutzmaßnahmen (§ 6 Abs. 8 GefStoffV).

Regelmäßig aktualisieren

Die Gefährdungsbeurteilung muss in regelmäßigen Abständen und bei gegebenem Anlass überprüft und ggf. aktualisiert werden. Anlässe zur Überprüfung können u.a. die Einführung eines neuen Gefahrstoffs oder Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge sein. Der Arbeitgeber muss nach Kap. 4 Abs. 4 TRGS 400 ein Überprüfungsintervall festlegen. Es empfiehlt sich ein Turnus von max. 2 Jahren. Liegt keine Gefährdungsbeurteilung vor, so kann die zuständige Behörde ein Tätigkeitsverbot aussprechen.

Informationen einholen und Gefährdungen beurteilen

Neben den Stoffeigenschaften muss der Arbeitgeber die Tätigkeiten, Verfahren und Betriebs- und Umgebungsbedingungen ermitteln und berücksichtigen. Dazu muss er die notwendigen Informationen beschaffen, erster Ansprechpartner ist i.d.R. der Lieferant des Gefahrstoffs. Dieser ist dazu verpflichtet, ein aktuelles Sicherheitsdatenblatt bereitzustellen. Es ist die wichtigste Informationsquelle und muss auf offensichtlich unvollständige, widersprüchliche oder fehlerhafte Angaben hin überprüft werden. Informationen für die Plausibilitätsprüfung liefert z.B. die GESTIS-Stoffdatenbank. Ggfs. muss eine korrekte Version angefordert werden. Ob vorhandene Sicherheitsdatenblätter noch aktuell sind, sollte alle 2 Jahre überprüft werden.

Weitere Informationsquellen sind v.a. technische Regeln und Bekanntmachungen für Gefahrstoffe (TRGS, BekGS), Gebrauchsanweisungen, technische Merkblätter, branchen- oder tätigkeitsspezifische Hilfestellungen, branchenbezogene Gefahrstoff- und Produktbewertungen (z. B. GISBAU, GisChem) sowie das Einfache Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe (EMKG). Stoffe und Gemische, die nicht eingestuft sind, muss der Arbeitgeber selbst einstufen bzw. mind. die Gefährdungen ermitteln.

Alle Tätigkeiten müssen betrachtet werden, also u.a. auch An- und Abfahrvorgänge von Prozessen, Wiederinbetriebnahme nach längerem Stillstand, Reinigungsarbeiten, Instandhaltung sowie Aufräum- und Abbrucharbeiten, Lagerung bis hin zur Entsorgung.

Auch Herstellungs- und Verwendungsverbote für Stoffe, Gemische und Erzeugnisse sowie Beschäftigungsverbote und -beschränkungen nach Mutterschutzgesetz und Jugendarbeitsschutzgesetz müssen beachtet werden.

Auf der Grundlage der gesammelten Informationen zu Stoffeigenschaften und Tätigkeiten müssen Gefährdungen durch

  • Einatmen,
  • Hautkontakt,
  • Verschlucken sowie
  • Brand- und Explosionsgefährdungen

beurteilt werden.

Gefährdungen durch Verschlucken müssen dann beurteilt werden, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass z.B. mit verschmutzten Händen oder Schutzhandschuhen ins Gesicht gegriffen wird. Werden geltende Hygiene– und Schutzmaßnahmen wie Händewaschen vor den Pausen oder korrektes Ausziehen von Schutzhandschuhen jedoch eingehalten, ist i.d.R. eine Gefährdung durch Verschlucken vernachlässigbar.

Wesentliche Aspekte zur Beurteilung sind Art, Ausmaß, Dauer und Verlauf der Exposition gegenüber Gefahrstoffen. Auch Wechsel- und Kombinationswirkungen von Gefahrstoffen müssen berücksichtigt werden, so können z.B. bestimmte Lösemittel die Aufnahme anderer Gefahrstoffe über die Haut erhöhen.

Geltende Richt- bzw. Grenzwerte wie Arbeitsplatzgrenzwert (AGW), biologischer Grenzwert (BGW) müssen eingehalten bzw. eine Exposition-Risiko-Beziehung (ERB) für krebserregende Stoffe berücksichtigt werden.

Geringe Gefährdung, dermale Gefährdung, inhalative Gefährdung oder physikalisch-chemische Gefährdung?

Tätigkeiten mit geringer Gefährdung sind z.B., wenn Produkte verwendet werden, die auch im Haushalt unter haushaltsüblichen Bedingungen eingesetzt werden wie z.B. Fußbodenreiniger, Klebstoff oder Spülmaschinenmittel. U.a. entfallen dann folgende Pflichten: Substitution, Erstellen einer Betriebsanweisung sowie einer detaillierten Dokumentation. Die allgemeinen Schutzmaßnahmen nach Kap. 4 TRGS 500 sind grundsätzlich erforderlich. Wenn ausschließlich Tätigkeiten mit geringer Gefährdung durchgeführt werden, muss kein Gefahrstoffverzeichnis erstellt werden.

Gefährdung durch Hautkontakt (dermale Gefährdung) liegt vor, wenn bei Feuchtarbeit oder Tätigkeiten mit hautgefährdenden Stoffen oder solchen, die über die Haut aufgenommen werden können, die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet werden kann. Mögliche Gefährdungen sind Hautreizungen, sensibilisierende Wirkung, allergische Hautreaktionen oder gar Verätzungen der Haut, erkennbar an entsprechenden H-Sätzen aus der 300er-Reihe in Abschn. 2 des Sicherheitsdatenblatts. Vorgehensweise zur Gefährdungsbeurteilung und geeignete Schutzmaßnahmen liefert die TRGS 401.

Gefährdungen durch Einatmen von Gefahrstoffen (inhalative Gefährdung) können entstehen, wenn gefährliche Stoffe als Gase, Dämpfe, Nebel oder Stäube in der Luft vorhanden sind. Das Ausmaß der Gefährdung hängt i.W. von den toxischen Eigenschaften der Stoffe ab. Der Arbeitgeber muss Höhe und Dauer der inhalativen Exposition ermitteln. Verfahrens – und stoffspezifische Kriterien (VSK nach TRGS 420) unterstützen ihn dabei. U.a. Methoden und Vorgehensweisen der Gefährdungsbeurteilung beschreibt die TRGS 402.

Brand- und Explosionsgefährdungen (physikalisch-chemische Gefährdungen) sind Reaktionen explosionsfähiger Gemische (z.B. Gemische aus brennbaren Gasen mit Luft) oder wenn energiereiche Gefahrstoffe wie organische Peroxide explodieren, weil Druck und/oder Temperatur sprunghaft ansteigen. Brände können z.B. auch durch Holzpellets und Holzspäne entstehen, wenn sie längere Zeit in großen Mengen unter Luftzutritt gelagert werden. U.a. muss ein Explosionsschutzdokument erstellt werden.

Hinweis: Zu den Tätigkeiten mit Gefahrstoffen zählen übrigens auch solche mit nicht als gefährlich eingestuften Arbeitsstoffen, z.B. Feuchtarbeitsplätze, tiefkalte oder heiße Flüssigkeiten oder erstickend wirkende Gase.

Substitutionsprüfung durchführen

Vor dem Beschaffen neuer oder geänderter Arbeitsstoffe muss der Arbeitgeber prüfen, ob der Gefahrstoff oder das Arbeitsverfahren durch ein nicht oder weniger gefährliches ersetzt werden kann. Diese Substitution muss vorrangig durchgeführt und dokumentiert werden. Die Dokumentation empfiehlt sich im Gefahrstoffverzeichnis. Informationen liefert die TRGS 600. Ersatzstoffe nach TRGS 600 ff. haben sich in der Praxis bewährt. Weitere Informationsquellen sind u.a. Sicherheitsdatenblatt, DGUV-Informationen, branchen- oder tätigkeitsspezifische Hilfestellungen, WINGIS oder Unternehmernetzwerke.

Wesentliche Kriterien sind technische Eignung und gesundheitliche sowie Brand- und Explosionsgefährdungen. Einen schnellen Vergleich von Stoffen und Gemischen ermöglicht das Spaltenmodell (Anhang 2 TRGS 600).

Die Substitutionslösung muss die Gefährdungen am Arbeitsplatz insgesamt verringern. Eine konkrete Frist zur Wiederholung der Substitutionsprüfung findet sich weder in der Gefahrstoffverordnung noch in der TRGS 600. Da sie jedoch Teil der Gefährdungsbeurteilung ist, muss sie spätestens bei der regelmäßigen Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung erfolgen.

Schutzmaßnahmen prüfen und festlegen

Es gilt die Maßnahmenhierarchie nach dem STOP-Prinzip. Zusätzlich zu Grundpflichten legen die §§ 8-11 GefStoffV folgendes Maßnahmenkonzept fest:

  • Allgemeine Schutzmaßnahmen,
  • zusätzliche Schutzmaßnahmen sowie
  • besondere Schutzmaßnahmen für nachweislich krebserzeugende, erbgutverändernde fruchtbarkeitsgefährdende Stoffe und Gemische bzw.
  • gegen physikalisch-chemische Einwirkungen.

Geeignete Schutzmaßnahmen liefern das technische Regelwerk (u.a. TRGS 500), verfahrens- und stoffspezifische Kriterien (VSK nach TRGS 420) sowie branchen- oder tätigkeitspezifische Handlungsempfehlungen aus der TRGS 500er-Reihe, z.B. TRGS 507 Oberflächenbehandlung in Räumen und Behältern. Die beschriebenen Maßnahmen müssen an die betriebliche Situation angepasst werden.

Für was ist die TRGS 400 zuständig?

Die TRGS 400 beschreibt Vorgehensweisen zur Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung für alle Tätigkeiten mit Gefahrstoffen und bindet die Vorgaben der GefStoffV in den Rahmen des ArbSchG ein. Sie soll die Umsetzung in der Praxis erleichtern.

Warum es Gefahrstoffbeauftragte nicht braucht und gibt

Die Funktion eines Gefahrstoffbeauftragten ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Dennoch können im Unternehmen Verantwortliche Aufgaben im Bereich Gefahrstoffe übernehmen.

Das Gefahrstoffrecht fordert die Fachkunde gemäß § 2 Abs. 16 GefStoffV und für bestimmte Tätigkeiten (z.B. Begasungen) die Sachkunde mit Lehrgangsnachweis.