Verminderte Erwerbsfähigkeit wegen Elektrosensibilität

Für die Feststellung des Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist es nach einem Beschluss des Landesssozialgerichts Bayern unerheblich, ob die vom Versicherten beklagten Beschwerden durch eine von ihm angenommene Elektrosensibilität verursacht werden.

Entscheidend für die Einschätzung des Leistungsvermögens seien nur die sich daraus ergebenden Funktionseinschränkungen und qualitativen bzw. quantitativen Leistungseinschränkungen bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit.

Der Fall: Schlafstörungen aufgrund einer Elektrosensibilität

Die klagende Versicherte begehrte die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung gab sie u.a. eine Elektrosensibilität an.

Das SG (SG Landshut, Urteil vom 26.01.2018 - S 12 R 600/15) wies die Klage nach Einholung mehrerer Gutachten von Amts wegen bzw. auf Antrag der Klägerin ab. Nach dem Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen ließen sich trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen quantitative Leistungseinschränkungen nicht hinreichend belegen. Im Verfahren vor dem LSG gelangten zwei vom Gericht beauftragte Sachverständige zur Einschätzung, quantitative Leistungseinschränkungen der Klägerin ließen sich nicht begründen. Ein auf Antrag der Klägerin beauftragter Gutachter schätzte hingegen ein, dass sich die Klägerin in einem so ausgeprägten Müdigkeits- bzw. Erschöpfungszustand befinde, dass sie täglich weniger als drei Stunden erwerbstätig sein könne.

Eine Einstufung in den Pflegegrad 2 durch den MDK bestätige dies.

LSG Bayern: Entscheidend sind nur die sich ergebenden Funktions- und Leistungseinschränkungen

Das LSG Bayern (Beschluss vom 8.9.2020, Az. L 13 R 102/18) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens liege nach den von Amts wegen eingeholten Gutachten nicht vor. Im Vordergrund der Beschwerden stünden die angegebenen Schlafstörungen aufgrund einer Elektrosensibilität. Wissenschaftliche Studien könnten bisher die ursächliche Wirkung von elektromagnetischen Feldern zur Auslösung von Elektrosensibilität nicht belegen. Bislang sei Elektrosensibilität weder von der WHO als Krankheitsbild noch nach Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung als Berufskrankheit anerkannt.

Für die Feststellung des Leistungsvermögens sei es jedoch unerheblich, ob die von der Klägerin berichteten Beschwerden und Gesundheitsstörungen durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder verursacht werden. Entscheidend seien die sich daraus ergebenden Funktions- sowie qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen. Soweit die Klägerin von schwergradigen Schlafstörungen berichte, hätten diese bei Schlaflaboruntersuchungen gerade nicht objektiviert werden können. Der Leistungsbeurteilung der auf Antrag der Klägerin bestellten Sachverständigen, die eine Leistungsminderung bejahten, ohne auf die objektivierbaren Befunde einzugehen bzw. eigene Befunde zu erheben, könne hingegen nicht gefolgt werden. Diese seien nicht nachvollziehbar bzw. stützten sich allein auf die anamnestischen Angaben der Klägerin.

Auch das Pflegegutachten des MDK, das einen Pflegegrad 2 bestätige, führe nicht zum Nachweis einer quantitativen Leistungsminderung. Ein Pflegegutachten, das von einer Pflegekraft erstellt wurde, sei allein nicht geeignet, den Vollbeweis für eine Erwerbsminderung zu erbringen. Es stelle allenfalls eine zusätzliche Erkenntnisquelle dar, die zur Einschätzung der Sachverständigen und zur Bildung der richterlichen Überzeugung beitragen könne.

Hinweis für die Praxis

Etwa ein Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung bezeichnen sich selbst als elektrosensibel, d.h., sie führen unterschiedliche Beschwerden wie zum Beispiel Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen auf das Vorhandensein elektromagnetischer Felder in ihrer Umwelt zurück. Lange Zeit bezogen sich die Beschwerden vor allem auf die niederfrequenten elektrischen und magnetischen Felder. Seit dem raschen Ausbau des Mobilfunks werden aber bevorzugt hochfrequente Felder als Verursacher genannt.

Ziel einiger Studien, über die das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) berichtet, war vor allem, die Beschwerden zu objektivieren und die von Betroffenen vermuteten ursächlichen Zusammenhänge zwischen elektromagnetischen Feldern und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufzuklären. Es ist allerdings nicht gelungen, diese von Betroffenen vermuteten Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert nachzuweisen. So zeigte sich z.B. im Rahmen eines Forschungsvorhabens, dass elektrosensible Personen schlechter als Kontrollpersonen in der Lage sind, echte magnetische Impulse von Scheinimpulsen zu unterscheiden.

Kern der hier vorgestellten Entscheidung ist allerdings, dass eine Erwerbsminderungsrente erst gewährt werden kann, wenn der Versicherte quantitativ und/oder qualitativ zu einer Erwerbsarbeit nicht mehr fähig ist. Entscheidend ist also weniger die Art der Erkrankung, sondern deren Folgen!