Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Gefährdungsbeurteilung

Der Betriebsrat hat nach einem Beschluss des LAG Schleswig-Holstein im Hinblick auf den beabsichtigten Umzug einer Betriebsstätte und der Inbetriebnahme eines neuen Arbeitsmittels keinen Anspruch auf Unterlassung dieses Umzugs, auch wenn der Arbeitgeber entgegen den § 3 Abs. 3 ArbStättV und § 4 Abs. 1 BetrSichV keine mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat.

Der Fall: Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme eines Paketzentrums erforderlich?

Arbeitgeber und Betriebsrat streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Inbetriebnahme eines Paketverteilzentrums vor der Durchführung einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung. Beide verhandeln seit Januar 2019 erfolglos vor einer Einigungsstelle über Gefährdungsbeurteilungen.

Im Januar 2021 nahm der Arbeitgeber ein neues Paketverteilzentrum in Betrieb, nachdem er in Abstimmung mit der Berufsgenossenschaft eine Mustergefährdungsbeurteilung durchführen ließ. Der Betriebsrat verlangt nun, das Aufnehmen von Tätigkeiten in dem Paketverteilzentrum sowie die Ausführung von Arbeiten mit eigenen Arbeitnehmern oder Leiharbeitskräften zu untersagen, solange keine mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung - auch durch den Spruch der Einigungsstelle - durchgeführt wurde.

Das Arbeitsgericht (ArbG Kiel, Beschluss vom 2.12.2020, Az. 4 BVGa 60 b/20) und das Landesarbeitsgericht haben die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen.

LAG: Keine Zuständigkeit des Betriebsrats für die Sanktionierung einer Inbetriebnahme ohne wirksame Gefährdungsbeurteilungen

Das LAG (Beschluss vom 12.1.2021, Az. 1 TaBVGa 4/20) hat die Beschwerde des Betriebsrats ebenfalls zurückgewiesen. Der Verstoß des Arbeitgebers gegen das Mitbestimmungsrecht rechtfertige die Untersagung der Tätigkeitsaufnahme nicht. Die Folge der Mitbestimmungswidrigkeit sei die Unwirksamkeit der Mustergefährdungsbeurteilung. Zur Sanktionierung einer Inbetriebnahme ohne wirksame Gefährdungsbeurteilungen sei jedoch die Ordnungsbehörde berufen, nicht der Betriebsrat.

Das Mitbestimmungsrecht bestehe ja fort, es würde auch ohne Erlass einer Unterlassungsverfügung nicht auf Dauer leerlaufen. Die Mitbestimmung zu den Grundlagen einer Gefährdungsbeurteilung könnten – im Gegensatz z.B. zur Mitbestimmung bei betriebsändernden Maßnahme nach § 111 BetrVG – auch noch nach der Inbetriebnahme nachgeholt werden.

Der tatsächlich bestehende Unterlassungsanspruch des Betriebsrats sei lediglich auf Beseitigung der mitbestimmungswidrig zustande gekommen Gefährdungsbeurteilung aus den Akten gerichtet.

Die Arbeitnehmer seien auch nicht schutzlos. Sofern Arbeitsbedingungen gegen materielles Arbeits- und Gesundheitsschutzrecht verstoßen würden, hätten sie ein Leistungsverweigerungsrecht, das sie individuell geltend machen könnten.

Hinweis für die betriebliche Praxis: Immer die Zuständigkeit des Betriebsrats prüfen!

Die Durchsetzung des Mitbestimmungsrechts ist hier ausschließlich der bereits eingesetzten Einigungsstelle vorbehalten. Der Untersagung der Inbetriebnahme im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bedarf es daher gar nicht.

Eine ordnungsbehördliche Stilllegungsverfügung könnte zwar bei einer betriebsverfassungswidrig durchgeführten Gefährdungsbeurteilung erfolgen. Da diese aber hier fachkundig durchgeführt wurde und auch nach dem Stand der Technik nachvollziehbar eingeschätzte Gefährdungen benennt, wäre diese aber wohl unverhältnismäßig.

In laufenden Mitbestimmungsverfahren rund um die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen durchgeführte betriebliche Maßnahmen können nach dieser Entscheidung mithilfe auch von noch nicht endgültig abgestimmten - aber ordnungsgemäß durchgeführten - Gefährdungsbeurteilungen korrekt umgesetzt werden. Das hilft, Verzögerungen, die sich durch die Einigungsstelle ergeben (können) nicht zulasten erforderlicher betrieblicher Maßnahmen hinnehmen zu müssen.