Ist der Weg zum Briefkasten unfallversichert?

Der Weg zu einem Briefkasten, um eine an den Arbeitgeber adressierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzuwerfen, ist nach einem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.12.2020  (Az. L 3 U 194/18) kein unfallversicherter Weg zur Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und steht deswegen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Fall

Die Geschädigte war auf den Weg zum Postbriefkasten, um dort eine an ihren Arbeitgeber adressierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzuwerfen. Auf diesem Weg stürzte sie und erlitt dadurch eine Luxation des Handgelenks sowie eine Rotatorenmanschettenläsion.  Die entstandenen Kosten für Behandlung und das Krankengeld beliefen sich auf ca. 10.000 EUR, für die die gesetzliche Krankenkasse der Geschädigten (Klägerin) zunächst aufkam.

Diese verlangte aber von der beklagten Berufsgenossenschaft die Erstattung dieser Kosten. Die Beklagte verweigerte die Erstattung jedoch, weil kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der Weg zum Briefkasten unterliege nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die auf Erstattung der Kosten gerichtete Klage vor dem SG Potsdam hatte keinen Erfolg (Urteil vom 28.9.2018, Az. 12 U 9/17).

LSG: Einwerfen des Briefes ist keine arbeitsvertragliche Pflicht

Die Geschädigte habe den Unfall nicht auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte erlitten, weil am Zielort, dem Briefkasten keine Tätigkeit vorgenommen werden sollte, die vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst ist. Das Einwerfen des Briefes in den Postbriefkasten war arbeitsvertraglich nicht geschuldet und auch nicht vom Arbeitgeber veranlasst.

Auch aus dem Umstand, dass die Geschädigte mit dem Einwurf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in den Postbriefkasten eine Pflicht aus ihrem Beschäftigungsverhältnis erfüllen wollte, ergebe sich nichts anderes. Zwar seien auch Nebenpflichten in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen. Bei der Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch die Beigeladene handele es sich aber gar nicht um eine aus dem Beschäftigungsverhältnis erwachsene Nebenpflicht.

Es handele sich vielmehr um eine dem Arbeitnehmer obliegende gesetzliche Pflicht, die sich aus § 5 Abs. 1 EFZG ergebe. Diese Pflicht diene allein der Sicherung des Anspruchs auf Entgeltortzahlung im Krankheitsfall, sodass die Geschädigte mit der Versendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausschließlich eigene Rechte sichern wollte.

Praxistipp: Spitzfindige - und wohl falsche? - Entscheidung zum Nachteil der Versicherten

Erneut fällt ein Landessozialgericht mit einer spitzfindigen Entscheidung zum Nachteil der Versicherten auf (und stützt damit eine falsche Rechtsauffassung einer BG): Wie soll der Arbeitnehmer auf die Idee kommen, dass die von ihm als arbeitsrechtlich empfundene Pflicht zur Vorlage der AU-Bescheinigung auf einer ganz anderen Grundlage basieren könnte, die ihm letztendlich den Versicherungsschutz nimmt?

Noch absurder ist die Entscheidung, bedenkt man, dass die Geschädigte auf dem Weg zum Arbeitgeber versichert gewesen wäre, hätte sie die Bescheinigung dorthin selbst gebracht (z.B. nach dem Urteil des BSG vom 23.10.1970, Az. 2 RU 162/68). So wird sie nun bestraft, weil sie einen vermeintlich kürzeren Weg gewählt hat.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidung vor dem BSG Bestand haben wird. Dort ist sie bereits anhängig (Az. B 2 U 1/21 R).