„Haltbarkeit“ eines betrieblichen Eingliederungsmanagements

§ 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX begründet eine Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM), sobald innerhalb eines Zeitraums von maximal einem Jahr sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit überschritten sind. Erkrankt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, ist grundsätzlich erneut ein bEM durchzuführen.

Dies gilt nach einem Urteil des BAG vom 18.11.2021 (Az. 2 AZR 138/21) auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.

Der Fall: Ist ein erneutes bEM notwendig?

Das vorhergegangene, auf langwierigen Erkrankungen des Arbeitnehmers (Kläger) beruhende, bEM war - so die Feststellungen der Arbeitsgerichte - am 5.3.2019 abgeschlossen. Danach war der Kläger bis zu seiner Kündigung, gegen die er sich wendet, erneut an 79 Arbeitstagen und damit mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank. Er wurde daraufhin krankheitsbedingt gekündigt.

BAG: Wann ist ein bEM abgeschlossen?

Das BAG gibt der Kündigungsschutzklage statt. Es hätte ein erneutes bEM stattfinden müssen.

Dem Sinn und Zweck von § 167 Abs. 2 SGB IX widerspräche es - so das BAG -, in das Gesetz ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von einem Jahr eines bereits durchgeführten bEM hineinzulesen. Erkrankt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, sei vielmehr grundsätzlich erneut ein Bedürfnis für die Durchführung eines bEM gegeben.

Im vorhergegangenen bEM könnten nur Erkrankungen berücksichtigt worden sein, die für die bis zu seinem Abschluss aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten ursächlich waren, ebenso wie nur die bis dahin maßgeblichen betrieblichen Abläufe und Verhältnisse. Sowohl die Krankheitsursachen als auch die betrieblichen Umstände könnten sich danach geändert haben. Dies gelte gleichermaßen für etwaige einschlägige Heilverfahren.

Ob das der Fall ist und ob sich daraus ein neuer Ansatz für Maßnahmen zur Vorbeugung vor weiteren Zeiten von Arbeitsunfähigkeit ergibt, kann, so das BAG, grundsätzlich nur in einem neuerlichen bEM geklärt werden. In diesem wäre zunächst festzustellen, ob maßgebliche Änderungen in den Krankheitsursachen, den möglichen Heilverfahren oder in den betrieblichen Umständen gegenüber dem zuvor durchgeführten bEM eingetreten sind, die einen neuen Präventionsansatz möglich erscheinen lassen.

Das BAG führt weiter aus: Kommen während eines noch laufenden bEM weitere Zeiten von Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen hinzu, verlangen Sinn und Zweck von § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX allerdings nicht die Durchführung eines parallelen zusätzlichen bEM. Dem Ziel, dem Arbeitnehmer durch eine geeignete Gesundheitsprävention möglichst sein Arbeitsverhältnis zu erhalten, ist ausreichend dadurch gedient, dass während eines noch laufenden bEM auftretende Zeiten von Arbeitsunfähigkeit sowie mögliche Veränderungen in den Krankheitsursachen oder betrieblichen Verhältnissen in dieses einbezogen werden. Ein weiteres bEM kann nur dann erforderlich werden, wenn ein vorheriges bereits abgeschlossen war.

Zur Frage, wann ein bEM abgeschlossen ist, gibt das BAG die folgenden, ausdrücklich keine Vollständigkeit beanspruchenden Hinweise:

Das Gesetz regelt das bEM nur rahmenmäßig als einen verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll, ohne explizit vorzusehen, wann dieser Suchprozess abgeschlossen ist. Ein bEM sei jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Dies gilt entsprechend, wenn allein der Arbeitnehmer seine Zustimmung für die weitere Durchführung nicht erteilt. Deren Vorliegen ist nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX Voraussetzung für den Klärungsprozess.

Dagegen könne der Arbeitgeber den Suchprozess grundsätzlich nicht einseitig beenden. Gibt es aus seiner Sicht keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, ist der Klärungsprozess erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn auch vom Arbeitnehmer und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden, ggf. ist ihnen hierzu Gelegenheit binnen bestimmter Frist zu geben. Entsprechend sei zu beurteilen, ob ein bEM bereits abgeschlossen ist, obwohl die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers weiter andauert. Auch dies hängt davon ab, ob die Beteiligten noch ernsthafte Ansätze zur Identifikation zielführender Präventionsmaßnahmen sehen oder nicht.

Wichtig für die Praxis

Das BEM und seine Durchführung wird durch die Rechtsprechung, insbesondere des BAG, immer weiter konkretisiert. Die hier vorgestellte Entscheidung ist ein wichtiger Mosaikstein, mit dem das BAG klärt, wann eigentlich ein bEM als abgeschlossen gelten soll und unter welchen Voraussetzungen nach einem abgeschlossenen bEM ein erneutes bEM durchzuführen ist.

In der betrieblichen Praxis wird die Durchführung des bEM durch Betriebsvereinbarungen nach § 77 BetrVG geregelt. Diese Entscheidung sollte Anlass sein, sich diese Vereinbarungen nochmals anzusehen, um zu prüfen, ob die neuen Konkretisierungen durch das BAG Anpassungsbedarf auslösen können.